Dämenkind 2 - Kind der Götter
Gefühl, inwendig ein wenig zu schrumpfen. Sie hatten nie etwas anderes gewollt, als ihm das Gefühl zu vermitteln, dass er in ihre Mitte gehörte; und er hatte ihre Güte mit Blutvergießen vergolten … Diese Schmach und seine geradezu
unerträgliche Zerknirschung hatten ihn bislang an der Heimkehr gehindert.
»Brakandaran …!«
Eine blonde Frau zwängte sich durchs Gedränge und eilte auf ihn zu; ihr Erscheinen bohrte den Dolch der Schuld noch tiefer in seine Seele.
»Samanaran …«
Wenige Schritte vor ihm blieb sie stehen und maß ihn mit einem scharfen Blick.
»Du bist zu mager.«
Brakandaran hatte nahezu alles erwartet, aber keine solche Bemerkung. Doch er durfte sich darauf verlassen, dass Samanaran nur Dinge sagte, die sein Gemüt besänftigten. Ihr unverblümter Tadel rang ihm ein Schmunzeln ab.
»Ich habe gelebt von nichts als …« Er unterbrach sich, ehe ihm der Fehler unterlief, die Harshini mit dem Eingeständnis zu verstören, Fleisch verzehrt zu haben. »Ich habe mich aus dem Lande genährt. Es war eine lange Wanderung.«
»Und sie war vollständig überflüssig«, schalt Samanaran. »Die Dämonen hätten dich heimbringen können. Du hättest dich nur an sie zu wenden brauchen.«
»Ich mag das Wandern gern.«
»In Wahrheit, so glaube ich, magst du das Leiden gern. Aber jetzt bist du da. Endlich. Willkommen daheim, Bruder.« Herzhaft drückte sie ihn an sich und musste zu diesem Zweck die Dämonen beiseite schieben. Fast hatte Brakandaran vergessen, wie stark die Harshini bereit waren zum Verzeihen, dass sie unfähig blieben zum Zürnen oder Grollen. Anscheinend ver
übelte seine ältere Halbschwester es ihm nicht, dass er für die Dauer zweier Jahrzehnte keine Verbindung zu ihr aufgenommen hatte. Ebenso hatte es den Anschein, als verzichtete sie auf jegliche Vorwürfe wegen des Verbrechens, das ihn fort von dieser Stätte und in die Ferne getrieben hatte. »Komm, du musst Korandellan die Ehre erweisen. Er wusste, dass du heimkehrst.«
Brakandaran nickte und verschwieg, dass der König ihm in dieser Hinsicht schwerlich eine Wahl gelassen hatte. Samanaran nahm ihn bei der Hand und führte ihn ins Innere des Sanktuariums, und die Dämonen schlossen sich ihnen an wie eine Woge. Etliche Harshini traten zur Seite, manche lächelten zum Zeichen des Willkommens, andere nickten ihm fröhlich zu. Einige streckten sogar den Arm aus und berührten seine von der Wanderung verschmutzte Kleidung, um sich zu vergewissern, dass er leibhaftig unter ihnen war. Brakandaran versuchte die Herzlichkeit des Empfangs zu erwidern, aber wie stets hatten seine Schuldgefühle und sein menschliches Blut zum Ergebnis, dass ihm zumute war wie einem Außenseiter.
Das Sanktuarium glich keinem zweiten Ort auf Erden.
Auf den ersten Blick schien es sich, seit Brakandaran zum letzten Mal durch diese Hallen geschritten war, überhaupt nicht verändert zu haben. Die HarshiniFluchtburg lag in einem Tal. Weit reichte der Festungsbau in den Fels der Hügel hinein; von den breiten, offenen Bogengängen der Außenmauern überschaute man die Talsohle. Die Luft war feucht und frisch dank der ständigen Dunstschwaden, die vom Wasserfall emporwallten, der, von Regenbogen umflirrt, die Festung mit
Wasser versorgte und sich in seinem weiteren Verlauf zum Westrand des Tals ergoss. Obwohl der Herbst das Laub der Berglandschaft schon rötlich färbte, herrschten in der Nachbarschaft des Sanktuariums, was Hitze und Kälte anbelangte, selten spürbare Unterschiede. Der Gott der Winde selbst achtete auf das Wohlergehen der Harshini.
Brakandarans Stiefelschritte hallten durch die langen, gefliesten Flure, während Samanaran ihn zu Korandellans Gemächern führte. Überall, wo sie sich zeigten, drehten die Sanktuarier sich um und winkten, freuten sich sichtlich über seinen Anblick. Sie verhielten sich, als brächte er ihnen Hoffnung, anstatt ihnen Kummer zu bereiten, ein Verhalten, das Brakandaran gelinde verwunderte. Gewiss waren die Harshini außer Stande zu Wut und Gewalt, aber nicht einmal diese Tatsache genügte, um ihre offenkundige Freude zu erklären. Früher wären viele von ihnen, überlegte Brakandaran, eher darüber froh gewesen, ihn nie mehr wiederzusehen. Da fiel ihm etwas anderes Befremdliches auf und veranlasste ihn sofort zu einer Frage.
»Wo sind die Kinder?«
»Es gibt keine Kinder, Brakandaran.«
»Warum denn das?«
Samanaran verlangsamte ihre Schritte und sah Brakandaran an. »Es liegt an der Wehr-Magie des
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