Dämenkind 2 - Kind der Götter
konnten ohne weiteres verborgen werden. Beunruhigt umwimmelten sie ihre Sklavinnen, die sich ihrer ungewissen Zukunft ebenso bewusst waren wie der schlechten Laune ihrer Herrin. In der Vergangenheit hatte sie schon so manches angestellt, das den Zorn des Königs erregt hatte, doch die Tollheit des gestrigen Abends hatte selbst für Adrinas Verhältnisse unerhörte Ausmaße angenommen.
»Hat jemand Tristan gesehen?«, herrschte sie die Sklavinnen an, schubste die junge Schwarzhaarige fort, die gegenwärtig versuchte, mit bebenden Fingern und edelsteinbesetzten Haarnadeln einen zarten Schleier in ihrem Haar zu befestigen.
»Nein, Eure Hoheit«, sagte Tamylan gefasst und löste unverzüglich die Schwarzhaarige ab. Mit sicherer Hand brachte sie den Schleier an. Adrina stieß ein Aufkreischen der Empörung aus.
»So gib doch Acht! Wo, bei den Sieben Höllen, steckt er denn? Allein übernehme ich gewiss nicht die Schuld.«
»Wenn ich mich nicht irre, ist Euer Bruder Tristan das letzte Mal bei seinem Spurt zum Südtor gesehen worden, Eure Hoheit«, antwortete die Sklavin, die ihre Belustigung kaum verheimlichen konnte. Im Spiegel warf Adrina ihr einen Blick äußerster Ungnade zu. Seit der gemeinsamen Kindheit war Tamylan die ständige Gefährtin der Prinzessin, und sie hatte die arge Angewohnheit, ihre Untergeordnetheit zu vergessen. »Meine Vermutung lautet, ihn hat der unwiderstehliche Drang ereilt, sich wieder zu seinem Regiment zu gesellen.«
»Feigling«, knirschte Adrina. »Wenn ich ihn in die Finger kriege …« Sie schob Tamylan beiseite, erhob sich und nahm ihr Spiegelbild in Augenschein: In Anbetracht der Umstände hatte sie hinsichtlich ihrer Erscheinung das Beste geleistet. Ihr Rock war grün – Grün war König Hablets Lieblingsfarbe –, und der kräftige Smaragdton brachte trotz des blauen Auges das Grün ihrer mit dunklem Lidstrich umrahmten Augen vorteilhaft zur Geltung. Das Mieder hatte ein geringfügig helleres Grün und war mit einem zierlichen Perlenbesatz gesäumt; diese Perlen standen in feinem Einklang mit der großen Perle, die im Ausschnitt der Prinzessin hing. Gegen das Pochen ihres Schädels gab es wenig Abhilfe, aber immerhin hatte sie mit insgesamt einer halben Flasche Mundwasser gegurgelt, um den sauren Nachgeschmack des Honigbiers loszuwerden. Fahrig strich sie den Rock glatt und drehte sich Tamylan zu. »Wie sehe ich aus?«
»So liebreizend wie immer, Eure Hoheit«, beteuerte die Sklavin. »Ich bin mir sicher, dass Eure strahlende Schönheit den König überwältigen und ihn hinlänglich für die leidige Tatsache entschädigen wird, dass Ihr
letzte Nacht mit seinem Flaggschiff die Hafenmauer gerammt habt.«
»Tamylan, habe ich schon erwähnt, dass du gefährlich nahe daran bist, meine Geduld zu überfordern?« Adrina war keineswegs in der geeigneten Stimmung, um Tamylans ewig gute Laune zu ertragen. Viel lieber wäre sie zurück in die Federn gekrochen und hätte sich unterm Bettzeug versteckt, bis ihr Vater nicht mehr an sie dachte.
»Wenigstens eine Stunde lang nicht, Eure Hoheit.«
Ein Klopfen an die Tür ersparte Tamylan eine scharfe Rüge. Hastig beeilte sich Gretta, die Sklavin, die vergeblich den Schleier in Adrinas Haar festzumachen versucht hatte, sie zu öffnen. Tief verneigte sich das junge Mädchen, als Lecter Turon eintrat, der Königliche Kanzler, und huschte zur Seite, sobald er ins Zimmer watschelte.
Der Königliche Kanzler tupfte sich den ständig schweißigen Kahlkopf ab und vollführte vor Adrina eine Verbeugung. »Der König erwartet Euch, Eure Hoheit«, teilte der Eunuch ihr mittels seiner lästig schrillen Fistelstimme mit. »Mir wurde aufgetragen, Euch zu ihm zu geleiten.«
»Ich kenne den Weg, Turon. Ich brauche keine schleimige kleine Kröte, um zum König zu finden.«
»Eure Durchlaucht, es ist die volle Wahrheit, wenn ich Euch versichere, dass ich noch keinem Dienst froher entgegengeblickt habe.« Die Vorfreude auf die Aussicht, zugegen sein zu dürfen, während sie sich vor dem König um Rechtfertigung abplagte, leuchtete ihm regelrecht aus dem Gesicht.
Adrina beschloss, seinen Seitenhieb keines Wortes zu würdigen. Mit rauschenden Röcken stapfte sie an ihm vorüber, eilte in den Flur und hob mit einem Ruck hochmütig das Haupt. Damit unterlief ihr ein Fehler. Die Nachwehen der Trunkenheit, die hartnäckig zu missachten sie sich bemühte, gipfelten infolge der plötzlichen Bewegung in einem stechenden Schmerz im Bereich der Stirn.
Dennoch strebte
Weitere Kostenlose Bücher