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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Augenblick riss sich Manford zusammen und ging mit benommenem Blick auf die wirre Gruppe an der Schwelle los. «Verdammt, was macht ihr hier alle miteinander? Hinaus – hinaus, alle! Hinaus, sage ich! Hört ihr nicht?»
    Powder richtete einen respektvollen, aber Einhalt gebietenden Blick auf seinen Brotherrn. «Ja, Sir, natürlich, Sir. Ich möchte nur melden, dass man bereits entdeckt hat, wie der Einbrecher hereingekommen ist.» Manford reagierte mit blindem Starren, aber der Butler fuhr unbeirrt fort: «Dank des Regens, Sir. Er ist durch das Fenster des Anrichteraums gestiegen, der Riegel wurde aufgebrochen, und auf meinem Linoleum sind schlammige Fußspuren, Sir. Man hat heute Nachmittag einen herumlungernden Landstreicher bemerkt. Ich kann das bezeuge n …» Blitzschnell trat er zwischen die beiden Männer, bückte sich, hob etwas auf und ließ es rasch und verstohlen in die Tasche gleiten. Eine Sekunde später hatte er seine Untergebenen von der Schwelle gefegt, und die Tür hatte sich hinter ihnen geschlossen.
    «Dexter», schluchzte Pauline, «hilf mir, sie aufs Bett zu heben.»
    Draußen rasselte und brummte es durch die lauernde Stille der Nacht die Auffahrt herauf. Das Schweigen wich unnatürlichem Lärm, gewaltig, geheimnisvoll und drohend. Es war die Feuerwehr von Cedarledge, die auf den Hilferuf ihrer Wohltäterin hin mit doppelter Geschwindigkeit herbeigeeilt kam.
    Als sich Pauline über das Gesicht ihrer Tochter beugte, glaubte sie ein schwaches Lächeln darauf zu erkenne n …
    31
    Nona Manfords Zimmer war erfüllt von Frühlingsblumen, eine Überschwemmung, gesandt von mitfühlenden Freunden, seit sie aus Cedarledge in die Stadt gebracht worden war.
    Das war vor zwei Wochen gewesen. Jetzt war es wirklich Frühling, die Fenster standen weit offen, und die untergehende Maisonne fiel schräg ins Zimmer und gab den langen Pflaumen- und Kirschblütenzweigen etwas von ihrem ursprünglichen Duft und ihrer Frische zurück.
    Früher einmal wären ihr die Blüten beim Gedanken an Cedarledge doppelt so schön vorgekommen; jetzt schloss Nona nur rasch die Augen, weil sie vor dem, was der Name mit sich brachte, innerlich zurückschreckte.
    Sie war noch immer ans Zimmer gefesselt, denn die Kugel, die ihren Arm nahe der Schulter durchschlagen hatte, hatte auch ihre Lunge gestreift, und das Fieber hielt sich hartnäckig. Hauptsächlich der Schock, sagten die Ärzt e … der entsetzliche Anblick eines maskierten Einbrechers im Schlafzimmer ihrer Schwägerin, und weil zweimal auf sie geschossen wurde – zweimal!
    Lita bekräftigte die Geschichte. Sie habe geschlafen, als die Tür leise aufgegangen sei; sie sei aufgefahren und habe einen Mann in einer Maske mit einer dunklen Laterne gesehe n … Ja, sie sei fast sicher, dass er eine Maske getragen habe; jedenfalls habe sie sein Gesicht nicht sehen können; die Polizei habe auf dem Linoleum des Anrichteraums und auf der Hintertreppe schlammige Fußspuren gefunden.
    Lita hatte geschrien, und Nona war ihr zu Hilfe geeilt; ja, und auch Mr Manford – Lita glaubte, Mr Manford sei vielleicht schon vor Nona da gewesen. Aber ganz sicher war sie nich t … Die Sache war die, dass die Erlebnisse dieser Nacht Lita zutiefst erschüttert hatten, und ihre Aussage war zwar nicht gerade widersprüchlich, aber doch etwas unzusammenhängend.
    Die einzig wirklich verlässlichen Zeugen waren Powder, der Butler, und Nona Manford selbst. Ihre Aussagen stimmten exakt überein oder fügten sich zumindest passgenau ineinander; die eine ergänzte die andere. Nona war als Erste am Tatort gewesen; sie hatte den Mann im Zimmer gesehen – auch sie meinte, dass er maskiert gewesen sei –, und er hatte sich ihr zugewandt und geschossen. Ihr Vater, der die Schüsse gehört hatte, eilte halb angezogen sofort herbei, und daraufhin floh der Einbrecher. Irgendjemand wollte gesehen haben, wie er durch den Regen und die Dunkelheit davonlief, aber niemand hatte sein Gesicht erkannt, und so war es unmöglich, seine Identität festzustellen. Der einzige greifbare Beweis für seine Anwesenheit waren – abgesehen von dem Schuss – die von Powder entdeckten und sorgfältig konservierten Fußabdrücke auf dem Boden des Anrichteraums, und natürlich war es möglich, dass mit deren Hilfe am Ende der Verbrecher aufgespürt wurde. Was den Revolver anbetraf, so war dieser ebenfalls verschwunden, und die Kugeln, von denen die eine in der Tür, die andere in der Täfelung gelandet war, hatten ein normales

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