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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Blitzlichtfotografen. Er war insgesamt hocherfreut.»
    «Dann solltest auch du dich freuen, Mutter.» Nona zwang ihre blassen Lippen zu einem Lächeln.
    «Das tu ich ja, Liebes. Wenn ich etwas mache, will ich es gut machen. Das war immer meine Devise: keine Kompromisse. Und ich glaube, es war ein Erfolg. Aber ich langweile dich womöglic h …» Pauline erhob sich unschlüssig. Sie war nie gut am Krankenbett, wenn sie dort keine aktive, dirigierende Rolle spielen konnte. Nona wusste, dass es ihrer Mutter zunehmend schwerfiel, ein paar Minuten mit ihr allein zu verbringen, jetzt, da ihre Kraft nach und nach zurückkehrte und es nichts mehr für sie zu tun gab. Es war wohl besser, wenn die Manfords heute Abend zu ihrer Reise aufbrachen.
    «Du musst nicht bleiben, Mutter, es geht mir wirklich gut. Ich werde nur noch ein bisschen schnell müd e …»
    Pauline zögerte und blickte mit einem besorgten Ausdruck, der sich durch die glatte Oberfläche ihrer Verjüngung hindurchkämpfte, auf das Mädchen hinunter. «Ich wollte, ich könnte dich mit einem besseren Gefühl zurücklassen, Liebes. Natürlich weiß ich, dass es dir gut geht, aber der Gedanke, dass du ganz allein in diesem Haus bleibs t …»
    «Es ist genau das, was ich will. Und wegen Vater solltet ihr abreisen.»
    «Den Eindruck habe ich auch», stimmte Pauline zu, und ihre Miene hellte sich auf.
    «Du bist sicher furchtbar beschäftigt mit all den Vorbereitungen. Es geht mir so gut wie irgend möglich, ich wollte, ihr wärt schon weg und hättet mich vergessen.»
    «Ja, Maisie ruft tatsächlich nach mir», gab Pauline von der Schwelle her zu.
    Die Tür fiel zu, und Nona schloss die Augen mit einem Seufzen. Morgen – morgen war sie allein! Und in einer Woche fuhr sie vielleicht zurück nach Cedarledge und würde dort auf der Terrasse liegen, die Hunde um sich geschart, und niemand würde Fragen stellen, Andeutungen machen, sie bemitleiden oder taktvoll und ausweichend agiere n … ja, trotz allem erschien ihr der Gedanke, nach Cedarledge zurückzukehren, jetzt erträglicher als alles andere.
    Als sie unruhig versuchte, sich bequemer zu betten, stieß sie mit der ausgestreckten Hand an den Packen Zeitungsausschnitte. Sie zuckte zurück, zog eine kleine Grimasse und lächelte dann. Nach der Nacht in Cedarledge hatten alle – sogar Maisie und Powder – angenommen, dass der Empfang für den Kardinal abgesagt würde, da er wegen der bevorstehenden Abreise Seiner Eminenz nicht verschoben werden konnte. Doch er fand am vorgesehenen Tag statt, am vierten nach dem Einbruch, und Pauline hatte ihn zu einem Erfolg gemacht. Nona bewunderte ihre Mutter aufrichtig. Irgendetwas in ihr war empfänglich für die Energie, mit der die ältere Frau eine Notlage meisterte, wenn sie sie schon nicht abwenden konnte. Das Fest war nicht nur glanzvoll gewesen, sondern auch unterhaltsam. Alles, was Rang und Namen hatte, war gekommen, alle weltlichen und kirchlichen Würdenträger, auch der Bischof von New York und der Oberrabbiner – ja sogar der Wissenschaftliche Spiritualist, hünenhaft und sibirisch in einer quasi priesterlichen Robe, was der insgesamt schon malerischen Stimmung noch einen besonderen Akzent verlieh. Und dennoch hatte es kein Gedränge gegeben, kein Durcheinander, nichts, was der Würde und dem Reiz des Abends Abbruch getan hätte. Nona hegte den Verdacht, dass ihre Mutter auch den Mahatma gern eingeladen hätte, dessen orientalisches Gewand tiefen Eindruck hinterlassen und der sich sehr geschmeichelt gefühlt hätte, der arme Mann! Aber sie hatte es nicht gewagt, und als Hauptattraktion nach den bedeutenden Kirchenmännern hatte sich Michelangelo entpuppt, der Neuankömmling, dessen edle römische Schönheit vom filmischen Glamour noch unterstrichen wurde, und mit ihm seine Mutter, die ihn erläuterte und vorführte.
    «Wie schade, dass der liebe Jim und Lita schon abgereist sind», erklärte die Marchesa allen, die ihr Gehör schenkten. «Das ist wirklich äußerst bedauerlich. Ich hatte so gehofft, Lita würde heute Abend hier sein. Sie und mein Michelangelo hätten ein herrliches Paar abgegeben: die Alte und die Neue Welt. Oder Antonius und Kleopatra – man stelle sich vor! Mein Junge sagt, Klawhammer suche nach einer Kleopatra. Aber die liebe Lita kommt ja bald zurüc k …» Und ihre Hoffnungen und Klagen vermischten sich mit denen von Mrs Percy Landish.
    32
    Nona schloss wieder die Augen. Seit jener unerträglichen Nacht litt sie unter ständiger Müdigkeit,

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