Dämon, Dämon an der Wand: Roman (German Edition)
hatte getan, was sie konnte. Sie hatte die Wunde magisch vernäht und alle erdenklichen Tränke und Breiumschläge angewandt, um die Königin bei der Genesung zu unterstützen. Ihre Bemühungen hatten Bea achtzehn zusätzliche Lebensmonate geschenkt, aber auch Zauberei hatte ihre Grenzen, und den Tod konnte man nicht ewig abweisen.
»Wir sind da«, flüsterte Schnee, als sie den Palast erreichten, wobei sie sich darauf verließ, dass die Spiegel ihre Stimme zu Danielle schickten. »Ist Bea …?«
»Sie lebt noch«, sagte Danielle.
Schnee gestattete sich einen Moment der Erleichterung, ehe sie sich an Talia wandte. »Da ist etwas, worum ich mich kümmern muss.«
Talia wirbelte mit aufgerissenen Augen herum. Schnee hatte sie früher schon wütend gesehen, aber nur selten hatte diese Wut ihr gegolten. Nicht so jedenfalls. »Was immer es ist, es kann warten!«
»Nein, kann es nicht.« Schnee schickte sich an zu gehen.
»Beatrice liegt im Sterben.« Talias Wut verwandelte sich langsam in Unglauben. »Was könnte wohl wichtiger sein?«
Schnee schüttelte den Kopf. »Sag Beatrice …« Bea hätte es verstanden, aber Talia nicht. Keine Worte konnten ihr das beibringen, und je länger Schnee hier rumstand, desto weniger Zeit blieb ihr.
Talia packte Schnee am Arm. »Beatrice hat dich aufgenommen. Sie hat dir eine Heimat gegeben, nachdem du aus Allesandria geflohen warst. Sie hat sich um dich gekümmert wie um ihre eigene Tochter.«
»Meinst du, das weiß ich nicht?« Und jetzt ist es an mir, mich um sie zu kümmern. Schnee drehte sich um. Mit Wut konnte sie umgehen, aber der Schmerz und die Enttäuschung in Talias Augen waren zu viel. Talia würde es bald verstehen. »Es tut mir leid.«
Talias Lippen bewegten sich, als ob sie nach Worten suchte. Stattdessen kehrte sie Schnee den Rücken und hastete durch die Eingangshalle, und ihre Stiefelschritte hallten vom Fliesenboden wider.
»Talia …« Schnee wollte ihr schon hinterhergehen, zwang sich aber, stehen zu bleiben. Jahre des Zauberwirkens hatten ihr Übung darin verschafft, ihre eigenen aufgewühlten Gefühle zu verdrängen, wenn es nötig war. Bei einer Mutter aufzuwachsen, die sie für das kleinste Vergehen, ob tatsächlich oder vermeintlich, bestrafte, hatte ihre Selbstbeherrschung nur gestärkt.
Meistens entschied sie sich allerdings einfach dafür, keinen Gebrauch davon zu machen.
Die Nachricht von Beas Zustand hatte sich offensichtlich im Palast verbreitet. Die Stimmen waren gedämpft, das muntere Schwatzen der Dienstboten war düsterem Geflüster gewichen. Schnee hörte mehr als eine Frau leise hinter verschlossenen Türen weinen.
Sie ging durch den Palast in Richtung des königlichen Schlafgemachs. In Anbetracht von Beatrices Zustand sollte das Zimmer verlassen sein. Bea war in ein Zimmer im Erdgeschoss verlegt worden, nachdem sie zu schwach geworden war, um Treppen zu steigen, und König Theodore war bestimmt bei seiner Frau.
Sobald Schnee das Schlafzimmer erreichte, machte sie die Tür hinter sich zu und vergewisserte sich, dass sie allein war. Sie ging am Bett vorbei zum Kamin, wo ein paar Kohlen in der Asche glühten. Mit dem Schüreisen stieß sie einen Backstein in der Kaminrückwand an und öffnete damit eine verborgene Platte. Sie zwängte sich hinein und zog die Platte hinter sich zu, bis sie einrastete.
Sonnenlicht aus ihrem Halsband leuchtete ihr den Weg, als sie sich über eine schmale Treppe zu den geheimen Räumen unter dem Palast begab. Das Licht schimmerte auf Waffen jeder Form und Größe, als sie durch die Waffenkammer zu ihrer Privatbibliothek und, am wichtigsten, ihrem Zauberspiegel ging.
So groß wie Schnee selbst, angefertigt aus makellosem Glas und in Platin gerahmt, beherrschte der Spiegel die Wand, an der er stand. Als sie den Raum betrat, reagierte der Spiegel auf ihren Willen und zeigte ihr Königin Beatrice.
Die Bibliothek war ein einziges Chaos; Bücher waren auf dem Boden verstreut, über die näheren Regale ergossen sich Sturzbäche aus dem erhärteten Wachs abgebrannter Kerzen. Schnee schnappte sich einen achtlos abgelegten Umhang aus weißem Fuchsfell vom Boden: Im Sommer war es in diesen Räumen erfrischend kühl, aber wenn der Winter erst einmal da war, wurde es hier so kalt, dass sie ihren Atem sehen konnte.
Eine mumifizierte Katze hockte in einer Ecke. Von einem der Regale hing ein Bund Rosen; die Blätter vertrocknet und schrumpelig. Den Teppich hatte sie an der Wand zusammengerollt, und der Steinfußboden war
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