Dämonen-Zwillinge
Fremden.
Das war nicht ihr Entschluss, sondern der ihrer Mutter, der es später auch gut gehen würde, denn man hatte ihr viel versprochen, wenn sie ihre Töchter abgäbe.
Sie hatte zugestimmt. Sie war noch jung, sie wollte leben. Sie wollte allein sein, um auch andere Männer empfangen zu können. Es gab keinen Vater, es hatte nie einen gegeben, das wussten die Zwillinge genau, und ihre Mutter hatte sie immer gehasst.
Sie hätte sie sogar getötet, wenn es zu ihrem Vorteil gewesen wäre.
»Siehst du sie?«, fragte Isa.
»Nein.«
»Aber sie sind da – oder?«
»Ja, das wissen wir doch. Haben wir es nicht beide zugleich gespürt? Haben wir uns nicht deshalb so stark geliebt? Es ist wie ein Abschied gewesen. Wir werden ein anderes Dasein erleben, denn heute Nacht ist dieser Zeitpunkt gekommen.«
Isa nickte. Auch sie hatte es gespürt. Es steckte in ihr, wie vieles andere auch. Jetzt spürte sie den Druck an der Stirn, und Irene musste es ähnlich ergehen, auch wenn sie nicht darüber sprach. Sie waren einfach zu gleich.
Irene streckte ihr die rechte Hand entgegen. »Komm, fass mich an. Lass uns gemeinsam nach unten gehen.«
»Zu Mutter?«
»Ja, zu ihr. Sie schläft nicht. Sie lauert. Sie ist die Verräterin. Sie hasst uns, und sie ist die Person, die uns loswerden will. Dafür nimmt sie alles in Kauf – alles.«
Isa sagte nichts mehr. Äußerlich glich sie ihrer Schwester aufs Haar, innerlich jedoch war Irene die Stärkere von ihnen. Und so hatte sie eine Führungsposition übernommen, der sich Isa gern gefügt hatte. Deshalb nahm sie auch die dargebotene Hand, und sie ließ sich gern führen. Noch war Zeit, denn diejenigen, die sie abholen sollten, hielten sich noch versteckt oder waren unterwegs.
Über die dicke Steintreppe hinweg gingen sie nach unten dem Ausgang entgegen. Es war nicht völlig dunkel, denn ihnen wehte der Schein der Ölleuchte entgegen. Für sie ein Zeichen, dass ihre Mutter nicht im Dunkeln auf sie wartete.
Die Steintreppe bestand aus hohen Stufen und war nicht leicht zu gehen. Es gab kein Geländer, aber sie konnten ihre Hände über die Krone einer sich senkenden Mauer schleifen lassen und bekamen so etwas mehr Sicherheit.
Das Licht wurde heller, je tiefer sie gelangten. Es gab einen leicht unruhigen Schein ab, als würde die Flamme über dem Öl von einem sanften Windzug bewegt.
Sie passierten die kleinen viereckigen Fensteröffnungen, durch die sie nach draußen in die Dunkelheit der Nacht schauten, und sie lauschten den Geräuschen ihrer eigenen, tappenden Schritte der nackten Füße auf dem Gestein.
Wahrscheinlich hatte Penelope sie längst gehört, doch ihre Mutter kam ihnen nicht entgegen. Sie wartete darauf, bis ihre Töchter eintrafen. Sie mussten an ihr vorbei, wenn sie das Haus verlassen wollten und nicht zuvor durch eines der Fenster stiegen.
Noch ein paar Stufen, und sie gingen dorthin, wo Penelope saß und wartete.
Sie trug ein dunkles Gewand und hatte eine Stola über ihren Kopf gestülpt. Ihr Gesicht wurde vom Schein des Öllichts angemalt und schimmerte rötlich. Sie saß vor einem Tisch aus rohem Stein, blickte über das Licht hinweg und auf die beiden Gestalten der Zwillinge.
»Ja, kommt ruhig näher. Kommt her. Kommt zu eurer Mutter. Ihr habt es gespürt, wie?«
Die Schwestern gaben keine Antwort. Sie ließen sich auch nicht los. Sie hielten sich auch jetzt an den Händen gefasst und wollten ihrer Mutter diese Einheit bieten.
Penelope sah es genau. Sie verstand es auch, und ihre Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln.
»Habt ihr euch noch immer so lieb?«
»Sehr«, sagte Isa.
»Das ist schön. Schwestern müssen Zusammenhalten.« Die Worte waren eine Lüge, aber das sagten sie der Mutter nicht. »Doch irgendwann seid ihr keine Kinder mehr. Da ist auch die Jugend vorbei, und ihr seid zu wunderschönen Frauen herangewachsen, die die Männer nicht übersehen können und es auch nicht wollen. Wie damals bei mir, als euer Vater mich entdeckt und mich einfach genommen hat.
»Das wollen wir aber nicht, Mutter!«, sagte Irene.
»Ihr müsst!«
»Nein, wir sind anders«, erklärte Isa. »Wir haben uns versprochen, immer zusammenzubleiben, und genau das werden wir auch tun. Nichts kann uns trennen.«
»Du redest dumm, Isa!«
»Ich habe die Wahrheit gesagt.«
Penelope schüttelte den Kopf. »Die Wahrheit ist für euch zu einer anderen geworden, meine Töchter. Ich muss euch jetzt freigeben, denn ich will mein eigenes Leben führen. Ihr werdet
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