Dämonendämmerung - Die Auserwählte (German Edition)
Moment fiel es ihr nicht leicht, ihre Gefühle zu ordnen. Und sie war außerstande zu sagen, was sie bei dem Gedanken an Erics Tod tatsächlich empfand, dazu prasselte augenblicklich zu viel auf sie ein, das alles erst einmal verdaut werden musste.
„Heyder ist ebenfalls tot. Der Sturm hat in der Papierfabrik eine Gasexplosion ausgelöst. Sie haben seine verbrannte Leiche in den Trümmern gefunden“, sagte Lille teilnahmslos. Offenbar ging ihr Heyders Ableben nicht sonderlich nahe, auch, wenn es zwangsläufig bedeutete, dass sie nun arbeitslos war.
Sie hatten Lilles Auto erreicht. Doro zögerte, die Tür zu öffnen und einzusteigen.
„Was ist mit dir?“, wollte Lille wissen.
„Weißt du etwas über Alexander?“
„Nein, leider nicht. In der Mehrzweckhalle haben sie ein Notquartier eingerichtet und dort hängen auch verschiedene Listen aus. Vielleicht steht auf einer dieser Listen Alexanders Name.“
Lille musste nicht deutlicher werden, sie ahnte, was sie mit verschiedenen Listen ausdrücken wollte. Es gab Menschen, die wurden noch vermisst und dann gab es diejenigen, deren Schicksal bereits zur traurigen Gewissheit geworden war. Plötzlich erfasste sie eine Gleichgültigkeit, die ihr unter anderen Umständen Angst gemacht hätte.
„Wohin fahren wir jetzt?“, erkundigte sie sich tonlos.
„Zu dir nach Hause, was dachtest du?“
„Ich habe noch eine Wohnung?“ Auf Doros Gesicht stahl sich der Anflug von Erleichterung.
„Es klingt zwar unglaublich, aber einige Viertel von Kirchbronn sind von dem Sturm verschont geblieben. Wir beide haben richtiges Glück gehabt.“
„Ja“, antwortete Doro. Wenigstens hatte sie, nach allem was geschehen war, noch ein zu Hause und damit auch ein Bett. Die erste beruhigende Vorstellung des Tages.
Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend. Lille musste sich auf die Straße konzentrieren, denn umgestürzte Bäume und herabgefallene Äste machten die Fahrbahn an manchen Stellen kaum passierbar. Erst jetzt wurde Doro das komplette Ausmaß der verheerenden Katastrophe bewusst. Ganze Hänge bestanden nur noch aus abgeknickten oder entwurzelten Baumstämmen. Als die ersten Häuser in Sicht kamen, war das Bild noch erschreckender. Wo früher die Papierfabrik gestanden hatte, war nichts übrig, außer einem riesigen durcheinander gewürfelten Haufen aus Ziegeln, Backsteinen, zerstörten Einrichtungsgegenständen und Müll. Lediglich die beiden hinteren Wände und ein Teil des Daches waren erhalten geblieben und machten den Anblick noch grotesker.
Stürme und Überschwemmungen kamen im Steinachtal regelmäßig vor, trotzdem konnte sich Doro nicht erinnern, schon einmal Ähnliches gesehen zu haben. Was da über Kirchbronn hereingebrochen war, hatte aus blanker Zerstörungswut bestanden, gepaart mit der festen Absicht, dieses gottverlassene Nest dem Boden gleich zu machen. Nichts sollte so bleiben, wie es war und vieles sollte auch nie wieder so werden. Ihr Erinnerungsvermögen kehrte schlagartig zurück. Nun wusste sie auch wieder, was sich in Erics Hütte zugetragen hatte.
Sie hatte die Zweiundsiebzig herausgefordert und damit die Verwüstung eines ganzen Landstriches heraufbeschworen. Sie war für all das Chaos verantwortlich und für die Opfer, die es gefordert hatte. Und es mussten viele sein, wenn sie sich die Zerstörung an den Gebäuden betrachtete. Ihr Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen und einen Moment lang war sie sich nicht sicher, ob sie demDrang widerstehen konnte, sich übergeben zu müssen.
„Ist dir nicht gut? Du bist so blass“, hörte sie Lille neben sich fragen.
„Es geht schon wieder. Ich konnte mir nur nicht vorstellen, dass die Zerstörungen so gewaltig sind“, murmelte sie in sich gekehrt.
„Irgendwie beneide ich dich darum, dass du von der ganzen Sache nichts mitbekommen hast. So etwas habe ich noch nie erlebt. Von einer Sekunde auf die nächste wurde der Himmel nachtschwarz und dann kam dieser furchtbare Sturm auf. Er hat alles mit sich gerissen, was nicht niet- und nagelfest war“, sagte Lille und bog in die Straße ein, in der Doro wohnte, „Äste, Sträucher, Ziegel, Mülltonnen und anderer Kram wirbelten durch die Luft. Ich habe die Rollläden heruntergelassen, weil ich Angst hatte, die herumfliegenden Gegenstände, könnten meine Fensterscheiben zerbrechen. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass so der Weltuntergang aussieht. Nach ungefähr einer halben Stunde herrschte plötzlich Stille. Dann begann alles von vorne,
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