Dämonendämmerung - Die Auserwählte (German Edition)
denn es entpuppte sich als heller Frühlingssonnenschein. Der abgenutzte Holzboden, auf dem sie kniete, kam ihr bekannt vor. Langsam hob sie den Kopf und wagte sich umzublicken. Die zerschlissene Couch, das wurmstichige Küchenbuffet, der Schaukelstuhl mit der Sitzbespannung aus Bastgeflecht… Nach und nach erreichten bruchstückhafte Erinnerungen ihren Verstand. Sie besaß zwar noch immer keine Vorstellung, was sich um sie herum ereignet hatte, aber wenigstens wusste sie jetzt, wo sie war. Sie war in Erics Jagdhütte und sie war allein und sie wunderte sich über das wärmende Sonnenlicht, das auf sie herabfiel. Schützend hielt sie eine Hand vor die Augen und sah nach oben. Weite Teile des Daches fehlten und das wolkenlose Blau, das ihr vom Himmel entgegenstrahlte, war klar und leuchtend.
Doro stützte sich auf dem Couchtisch ab, um sich aufzurichten. Auf wackligen Beinen wankte sie in Richtung des Eingangs. Sie riss die Türe auf und trat ins Freie. Die frische Luft war Balsam für ihre Seele. Allmählich kehrten zwar ihre Kräfte zurück, nicht aber ihr Gedächtnis. Ratlos beäugte sie die seltsame Doppellinie, die sich kreisförmig um das gesamte Gebäude zog. Größtenteils war sie noch intakt, nur an einigen Stellen wirkte sie verwischt, als wäre Wind darüber hinweg geweht. Ihr Blick glitt zum Waldrand hinüber. Abgeknickte Baumwipfel schaukelten in der leichten Brise. Einige mächtige Tannen lehnten unnatürlich schief an ihre Nachbarbäume. Unweit der Hütte war eine riesige Buche entwurzelt worden und hatte beim Umstürzen die Hütte nur um wenige Meter verfehlt, dafür aber einen dunkelroten Geländewagen unter sich begraben. Sie betrachtete das zerbeulte Fahrzeug eingehender. Ein Landrover Defender . Wie kam er hierher? Instinktiv glitt ihre Hand in ihre Hosentasche und machte ihre Verblüffung perfekt, als sie kurz darauf einen Wagenschlüssel mit Landrover-Logo in der Hand hielt. Sie fuhr einen alten Polo, da war sie sich absolut sicher. Also, wie zum Teufel kam sie zu dem fremden Autoschlüssel? Die Geschichte wurde immer sonderbarer. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie den Wagenschlüssel einfach wegschmeißen sollte, dann entschied sie sich, ihn zu behalten.
Was sollte sie tun? Sie stand mitten im Chaos, um sie herum herrschte die blanke Verwüstung, ihre Erinnerungen waren ein substanzloser Brei und sie war zu verwirrt, um in Panik zu geraten. Doro seufzte und hielt auf den schmalen Trampelpfad zu, der am Waldrand zwischen den Bäumen und Sträuchern vage zu erkennen war. Ohne Fahrzeug blieb ihr nichts anderes übrig, als zu Fuß nach Kirchbronn zu gehen. Vielleicht hatte sie Glück und sie traf auf dem Hauptweg auf irgendjemanden mit einem Auto, der sie mitnahm… Der grasige Boden gab unter jedem ihrer Schritte mit einem matschigen Geräusch nach und Nässe drang in ihre Schuhe. Noch einmal blickte sie sich um, wobei ihr langsam dämmerte, was in den letzten Stunden geschehen war. Das Tal war von einem gewaltigen Unwetter heimgesucht worden. Heimsuchung…
Doro kämpfte sich weiter den unwegsamen Pfad entlang. Immer wieder versperrten umgestürzte oder abgeknickte Bäume ihren Weg. Auf halber Strecke, an einer der engsten Stellen, stand eine anthrazitfarbene Luxuslimousine mit Frankfurter Kennzeichen. Noch während sie sich darüber wunderte, welcher Idiot auf die absolut dämliche Idee kam, mit solch einem Auto, einen Waldweg zu befahren, schlich sich der erste zaghafte Lichtstrahl in das Dunkel ihrer Erinnerung.
Thomas Heyder… Und mit Heyder kehrten auch die Gefühle für Alexander zurück. Das plötzliche Bewusstsein, ihn nicht an ihrer Seite zu wissen, versetzte ihr einen unerwartet heftigen Stich. Leise bat sie, dass ihm nichts zugestoßen war. Ihr Gedächtnis arbeitete fieberhaft an der Frage, wann sie Alexander das letzte Mal gesehen hatte und scheiterte, denn ihr Verstand bestand größtenteils noch immer aus einer trägen Gedankenmasse.
Der befestigte Weg konnte nicht mehr weit sein. Und spätestens, wenn sie Kirchbronn erreichte, würden sich alle ihre Fragen klären lassen, sprach sie sich selbst Mut zu. Am Ende des Pfades tauchte eine Gestalt auf. Sie war gut hundert Meter entfernt, hatte lockiges, rotes Haar und eine vollschlanke Figur und sie winkte stürmisch in Doros Richtung, wobei sie mehrmals laut hintereinander ihren Namen rief.
„Lille!“, schrie sie zurück und wurde schneller. Zuerst war es nur ein lockerer Trab, wenig später rannte sie auf ihre Freundin
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