DÄMONENHASS
Die Wamphyri sollen revierorientiert sein? Hah! Von uns könnten sie noch was lernen!«
»Aber wenn ihr immer noch im Dorf lebt, warum sind wir hier heraufgekommen?«
»Weil hier im Augenblick am meisten zu tun ist. Genug für alle. Wir höhlen den Platz aus, machen ihn lebenswert und bestücken die großen Außenhöhlen mit Dimis Pulver. Ebenfalls eine Art, einen Krieger umzubringen: den Bastard mit etwa hundert Tonnen Felsgestein plätten!«
»Ohne selbst platt gemacht zu werden?«
»Wir haben uns bis nach hinten auf die andere Seite durchgegraben. Das ist das reinste Labyrinth da drinnen. Der Felsen ist jetzt Zufluchtsstätte, Notunterkunft, Todesfalle und Fluchtweg in einem. Die Wamphyri haben uns noch nicht entdeckt und werden dies mit etwas Glück auch in Zukunft nicht tun. Sollten sie uns doch finden ...« Wieder zuckte Lardis schicksalsergeben die Achseln. »Dann kommt es sie ebenso teuer zu stehen wie uns.«
Im Haupteingang gab eine Kette aus Männern und Frauen schwere, mit Erde und kleinen Steinen gefüllte Ledereimer aus dem Innern nach draußen und kippte sie über einen schmalen Vorsprung auf die darunter liegenden Schieferhänge. Die Leute waren verschwitzt und staubig und kaum voneinander zu unterscheiden. Die meisten sahen nur kurz zu Lardis und seiner Gruppe auf, nickten und fuhren mit ihrer Arbeit fort. Aber eine der Gestalten ließ ihren Eimer fallen, und die Arbeit stockte.
Dann ... schien ein Wirbelsturm loszubrechen! Nana lief so hastig auf Nathan zu, dass sie ihn fast umrannte. Er nahm sie in die Arme, hielt sie ganz fest, küsste ihren schmutzigen Hals und drückte sie wie eine Geliebte an sich. Seine Mutter war am Leben und wohlauf! Schließlich hielten sie sich auf Armeslänge entfernt, und Nathan sog ihren Anblick in sich auf. Er ließ sich von ihrer Aura, ihrem Geruch – nein, ihrem Duft! – überspülen und dachte: Sie ist so klein!
»Du bist so ... groß!«, sagte sie. In ihren Augen standen Tränen, aber sie wollte nicht vor den Leuten weinen.
Lardis legte seine Arme um die beiden und sagte zu Nana: »Bring ihn zu deiner Unterkunft im Felsen. Lass die Arbeit ruhen. Das wird dir niemand missgönnen.« Auch seine Stimme klang rau.
Auf ihrem Weg, den sie Arm in Arm gingen, wurden sie von einer riesigen, finsteren Gestalt aufgehalten, die aus der Reihe trat. Es war Varna Zanesti, Mishas Vater. Er umklammerte Nathans Unterarm zum Gruß, nickte und sagte: »Na, du bist ein freundlicher Anblick für meine entzündeten Augen! Und habe ich nun endlich einen Sohn oder nicht?« Wie immer nahm Varna kein Blatt vor den Mund.
Zuerst begriff Nathan nicht, was er meinte, also half Varna ihm auf die Sprünge. »Unsere Unterhaltung, damals an jenem Morgen in Siedeldorf?«
Da verstand Nathan, seufzte auf und sagte: »Es ist mir eine Ehre.«
»Hah!«, schnaubte Varna. »Damit hast du verdammt recht! Also gut, ich kümmere mich darum – auf der Stelle!« Endlich breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus.
»Wo ist sie?«, fragte Nathan.
»Im Wald bei den Kindern. Sie unterrichtet sie und sammelt mit ihnen Obst und Nüsse. Ist dir die Mittagszeit recht?«
»Hä?«
»Für die Hochzeit natürlich!«
Nathan blickte zu Nana, und sie nickte. »Ja, ganz wie du meinst«, gab er Varna zur Antwort.
»Ist schon so gut wie erledigt«, sagte der andere. »Jetzt geh und genieße deine letzten Stunden als freier Mann.«
Nana hatte eine große Höhle in der Nähe des Haupteingangs bezogen. Sonnenstrahlen fielen durch Löcher im Felsen, und Staubkörner schwebten wie Goldkörnchen durch das Licht. Sie führte Nathan zu einer Nische in der Wand, in der eine Decke lag. Und während sie sich um die Bedürfnisse zweier alter Frauen in ihrer Obhut kümmerte und ihnen das Essen zubereitete, sprach sie über die Schulter mit ihm und stellte ihm Fragen. Nach kurzer Zeit gab er keine Antwort mehr, und Nana sah, dass er sich ausgestreckt hatte und eingeschlafen war.
Als die Alten dann ihre Mahlzeit zu sich nahmen, setzte Nana sich neben ihn. Sie strich ihm über die Falten auf seiner Stirn, ließ ihren so lange zurückgehaltenen Tränen freien Lauf und liebte ihren Sohn für all die einsamen Stunden, die ihn zu lieben sie versäumt hatte ...
Nathan träumte von Maglore. Seit seiner Flucht aus Runenstatt war er seinen Gedanken ohnehin nie fern gewesen. Ein Bild des Mannes, des Vampir-Lords, des Ungeheuers schien sich seinem inneren Auge unauslöschlich, aber so schwach wie ein Nachbild eingeprägt zu
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