DÄMONENHASS
versuchte er seine Angst zu bezähmen, als der graue Schatten näher trat und neben seinem Bett stehen blieb. Seine Angst? Aber wovor denn? Er war Lord Nestor von den Wamphyri! »Was ...?«, brachte er röchelnd über die verschorften, aufgerissenen Lippen. »Wer?«
»Ah ja!« Der graue Umriss nickte. »Du wirst dich also erholen und zur Sternseite zurückkehren. Gut!«
Aber obwohl die Stimme warm und nicht unfreundlich klang, lag etwas seltsam Verbittertes und ... Zufriedenes in ihrem Ton. Was hatte sie gesagt? Etwas über eine Rückkehr zur Sternseite? Plötzlich übermannten Nestor Zorn und Enttäuschung. Er mühte sich in eine sitzende Haltung und strengte seine verletzten Augen an, bis der dunstige Umriss vor ihm sich etwas verfestigte und die Züge seines Gegenübers unter der Kapuze eines Umhangs deutlich wurden. Aber diese Züge blieben grau, waren kaum scharf gezeichnet und wirkten seltsam ... unvollständig. Die gespenstische Gestalt stützte sich leicht auf eine Krücke unter ihrer rechten Schulter, und der Umhang umgab ihren mageren Leib wie ein Leichentuch.
»Es ist so dunkel hier drin«, sagte Nestor. Klang er nun einfältig – oder nur hoffnungsvoll.
Der andere schüttelte den Kopf. »Nein, es ist hell genug. Jedenfalls bald.«
Nestors Pein drohte ihn erneut zu überwältigen. Er war zwar ein Wamphyri, aber noch beherrschte er ihre Künste nicht zur Gänze. Noch konnte er seine Schmerzen nicht unterdrücken. So gut er es vermochte, schob er sie von sich und fragte: »Wer bist du, und was ist das hier?«
»Mein Name ist Uruk Piatra, genannt Uruk der Langlebige«, antwortete der Graue und zuckte dabei die Achseln. »Kein zutreffender Name, wie ich fürchte. Und was diesen Ort angeht ... Es ist eine Kolonie der Aussätzigen!«
Für einen Augenblick erstarrte Nestors Gehirn: eine Aussätzigenkolonie! Lepra, der Fluch der Vampire! Doch im nächsten Moment explodierte er in wirbelnder Bewegung. Er schwang die Beine unter der Decke hervor und packte die lose herabhängenden Ärmel am Umhang des anderen. Aber die Ärmel waren leer und trugen sein Gewicht nicht. Sie rissen an den Schultern ab und zerfielen in Nestors Händen, als er aufs Bett zurücksank. Und er sah, dass Uruks dürre Arme in pilzbleichen Stummeln an den Ellbogen endeten!
Dann rauschte das Adrenalin durch ihn – und der Wahnwitz des vampirischen Fluchtreflexes brach sich Bahn und ließ Nestor seine bisherigen Schmerzen vergessen. In blindem Entsetzen floh er aus der Kolonie in die Wälder. Doch selbst dort gab es keine Schonung, denn im Süden wurde das Licht immer heller und stärker. Im Nebeldunst von Nestors Wahrnehmung standen graue, gespenstisch dürre Gestalten zwischen den Bäumen, als er mal hierhin, mal dorthin hetzte, um ihnen zu entrinnen. Er krachte in vollem Lauf gegen einen Käfig mit gackernden Hühnern und legte ihn dabei in Trümmer, stürzte gegen einen Zaun und Hals über Kopf darüber und spürte keinen Schmerz mehr, nur noch Furcht, als er tiefer und tiefer in den allmählich heller werdenden Wald rannte, um nach einem Versteck zu suchen.
Nach einem tiefen Loch, in dem er sich vor der Sonne verbergen und abwarten konnte, bis der lange Tag vorüber war. Nach einer Zuflucht, in der er sich ausruhen und erholen, schlafen und träumen konnte – von den Dingen, die geschehen waren, und von jenen, die sich erst noch ereignen würden ...
Und gewiss konnte er dabei auch seinen Albträumen freien Lauf lassen ...
Impressum
Originaltitel: Vampireworld 1: Blood Brothers
Necroscope® is a registered trademark of Brian Lumley
© 1992 by Brian Lumley
© dieser Ausgabe 2012 by Festa Verlag, Leipzig
Literarische Agentur: Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-86552-118-7
www.Festa-Verlag.de
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