DÄMONENHASS
aus der Nathans Vater stammte, blieb das Paar einen ganzen Tag in seinem Liebesnest, und einen weiteren Tag dauerte es noch bis Sonnunter. Wie junge Tiere zur Paarungszeit liebten und schliefen sie im Übermaß. Dazwischen stärkten sie sich mit Brot und Käse aus einem Bündel im Karren.
Drei Jahre ohne einander. Jetzt ersetzte jeder Augenblick, den sie gemeinsam verbrachten, eine Stunde der Trennung, und die Hülle der leeren Jahre fiel von ihnen ab. Sie lernten sich wieder ganz neu kennen, diesmal jedoch mit größerer Sicherheit und Gewissheit – wie eine geborstene Mauer, die nach dem Wiederaufbau stärker ausfällt. Und die eine Falte hier und die andere Furche dort glätteten sich, zumindest schien es so, bis ihre Gesichter wieder wie früher waren und nur an Charakter gewonnen hatten. Nathan hatte Mishas Figur früher für jungenhaft gehalten; jetzt war sie ganz Frau. Sie hatte sein gelbes Haar mit dem Sonnenschein verglichen, jetzt war es ein dunstiger Morgen, und etwas von dem Gold war zu Grau geworden. Schließlich verließen sie ihren Unterschlupf und gingen nach Siedeldorf zurück, was weitere alte Erinnerungen wachrief. Sie wanderten über die Waldwege, die sie als Kinder gekannt hatten, badeten in dem gleichen flachen Teich an der Flussbiegung, verliebten sich noch tiefer und wahrer ineinander. In Siedeldorf aßen sie gemeinsam mit Freunden, und Nathan stand eine Weile vor seinem alten Zuhause an der Westwand der Palisade. Zwar waren einige Reparaturen vorgenommen worden, aber das Haus kam ihm leer vor. Wenigstens befand sich keine Fliegerfalle darunter, und vielleicht würde Nana eines Tages wieder hier wohnen. Aber wirklich wohnen, so wie früher.
Als sie im Schatten des Waldes wieder zu ihrer Laube zurückkehrten, erschauerte Nathan plötzlich, hielt inne und lauschte. Nur das Gurren der Tauben war zu hören.
Misha sah ihn neugierig an. »Was ist?«
Stirnrunzelnd berührte er das goldene Zeichen an seinem Ohr. Dann zuckte er die Achseln und lächelte unbeholfen. »Nur die Gespenster alter Erinnerungen.« Oder das Gefühl, von jemandem belauscht zu werden, von jemandem, der beobachtete und abwartete. Instinktiv schirmte Nathan seinen Geist ab und beschwor den Mahlstrom herauf. Zwei vollkommen logische Maßnahmen, von denen nur die eine gut war. Denn Nathan wusste nicht, dass der Mahlstrom zwar bestimmte böse Einflüsse von ihm fernhielt, einen anderen jedoch noch sicherer anzog als ein Maisfeld einen Krähenschwarm. Und selbst wenn er es gewusst hätte, so hätte es doch nur einen geringen Unterschied gemacht, denn jener andere war tot.
Auf jeden Fall war das Gefühl, lange bevor sie ihr Liebesnest wieder erreicht hatten, schon wieder verschwunden ...
Der Abend legte sich auf die Sonnseite, und die ersten Sterne erschienen am Himmel. Allmählich wurde es Nacht. In ihrer Laube schliefen die Liebenden, der Länge nach aneinandergepresst, so dicht beieinander, dass sie fast eins waren. In Siedeldorf und andernorts brannten die ersten Feuer, um die Lords von der Sternseite anzulocken. Aber der letzte Vampir-Überfall auf Siedeldorf war schon eine Weile her; es gab keinen Grund, warum eines der Ungeheuer ausgerechnet heute Nacht auf die Jagd gehen sollte, und ganz gewiss nicht an diesem abgelegenen Ort. In Nathans metaphysischem Bewusstsein wirbelte der Mahlstrom der Zahlen, und in seinem Zentrum waren die Geheimnisse des Universums hinter zahllosen sich wandelnden Formeln verborgen, ebenso seine geheimsten Gedanken. Damit diente ihm der Mahlstrom als Schutz ...
... und verriet ihn zugleich.
Hoch oben in den Bergen auf einem Sattel zwischen den Gipfeln, wo das Gold schon zu Grau geworden war, blickten ein Lord und sein Offizier auf die Sonnseite hinab, der eine aus blutroten, der andere aus eher tierhaften Augen. Dieser Letztere war Zahar (einst Zahar Saugersknecht), und sein Herr war Lord Nestor von den Wamphyri, ein gewaltiger Totenbeschwörer, dessen rasend schneller Aufstieg zur Macht ihn zu einer lebenden Legende in sämtlichen Stockwerken des letzten Horstes der Sternseite gemacht hatte. Ihre Flieger ruhten sich in der Nähe aus und nickten mit den großen, schiefergrauen Köpfen gedankenverloren vor sich hin.
Zahar wusste, warum sie hierhergekommen waren. Nestor hatte die Angewohnheit, sich an ebendieser Stelle ein bisschen auszuruhen und vor einem Überfall über die Sonnseite zu blicken. Immer an dieser Stelle oberhalb von Siedeldorf. Aber obwohl er sich von dem Ort stets fasziniert
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