Damiano
vor.
Denezzi brüllte wie ein Stier, wie eine Kuh auf der Schlachtbank, als Pardos kleines Messer ihm die Kehle aufschlitzte. Mit seinen rasenden, nutzlosen Fußtritten scharrte er den Boden aus harter Erde auf. Martin, Ogiers Adjutant, drängte sich an Damiano vorbei und hob seine Klinge über Pardos Kopf.
»Nein!« schrie Damiano beinahe ohne Stimme. Und nochmals: »Nein!«
Der Stab rutschte in seiner schweißnassen Hand, und im selben Moment schleuderte ihn Denezzi, der in den letzten Zuckungen lag, Damiano mit einem wild um sich schlagenden Fuß aus der Hand.
Pardos Kopf fiel unbeachtet zu Boden, denn aller Augen starrten gespannt auf die schlanke, reglose Gestalt mit den wirren dunklen Locken und den schwarzen Augen, die die ungläubigen Blicke unsicher erwiderte.
Ogier sprang vor und stieß den Stab mit dem Fuß so weit weg, daß Damiano ihn nicht mehr erreichen konnte. Er rollte über den Boden, ein schlichter hölzerner Stab, und verschwand in den Schatten.
»Nehmt ihn fest«, befahl der Befehlshaber der Savoyer, und ein Dutzend Soldaten überwältigte Damiano und warf ihn zu Boden.
Das war schnell getan, denn Damiano hatte keine blasse Ahnung, wie man kämpfte.
Ogier hielt inne und prüfte die Lage. Er rieb sich über den blonden Stoppelbart an seinem Kinn.
»Ausgezeichnet«, bemerkte er zu Martin. »Ich glaube, wir haben nicht einen einzigen Mann verloren, abgesehen von diesem armen Tölpel. Und wir werden unseren Dank dafür bezeigen, indem wir dieses Wesen hier in seine angestammte Heimat zurückschicken.
Aber erst morgen. Nicht in der Finsternis, die es abscheulich gemacht hat. Wenn die Eiche am Dorfeingang noch steht, dann macht einen Strick an einem starken Ast fest.«
Die halbe Nacht ging über San Gabriele dahin, während der Rauch erloschener Feuer und wallende Nebel die Luft mit wirren Netzen durchwoben. Die letzten von Pardos Soldaten schlichen sich aus den Kellern, wo sie sich versteckt hatten, und flohen über die kahlen Felder. Noch ehe die Woche um war, würden viele von ihnen dem bunt zusammengewürfelten savoyischen Heer einverleibt werden, doch in dieser Nacht waren die Erinnerungen noch zu frisch, deshalb machten sie sich unauffällig davon.
Auch die meisten der Einheimischen von San Gabriele waren geflohen; nur die waren geblieben, die, da sie nichts besaßen, auch nichts verlieren konnten. Diese durchstöberten die eingestürzten Häuser, wobei sie trachteten, Ogiers Soldaten aus dem Weg zu gehen, und durchsuchten hoffnungsvoll die Trümmer auf der Straße.
Damiano lag in der Kälte auf dem weingetränkten Boden eben jener Steinhütte, wo er Gaspare, Jan und Evienne gefunden hatte. Die Arme hatte man ihm auf dem Rücken gefesselt.
Wohin seine drei wenig reputierlichen Freunde geflohen waren und ob sie noch frei, noch am Leben waren, wußte er nicht und konnte es auch nicht in Erfahrung bringen, denn ohne seinen Stab war Damiano wie ein mit Blindheit und Taubheit zugleich Geschlagener. Es blieb ihm auch kaum Zeit, sich darüber Kopfzerbrechen zu machen, denn die Sterne wanderten langsam nach Westen und zogen im Osten die Sonne nach sich. Und beim ersten Tageslicht würde er sterben.
Sie hatten ihm seinen Umhang übergeworfen, damit er nicht etwa in der Nacht erfror, und sie so um ihre Rache gebracht würden. Draußen standen Soldaten und bewachten an allen Seiten die Hütte. Ihre Anwesenheit und die trockene, erstickende Furcht in seiner Kehle hinderten Damiano daran zu weinen.
Statt dessen zitterte er wie Espenlaub, bis ihm sein Pelzumhang vom Körper rutschte. Und er konnte nicht einmal wieder unter ihn kriechen, weil seine nach hinten gedrückten Schultern und seine geschwollenen Hände ihn heftig schmerzten.
Der Erdboden roch stark nach Wein und Mäusen, und als er sich umdrehte, um den trockenen Staub in seiner Nase loszuwerden, fiel der Moosbausch aus seinem Ohr, und Kälte drängte herein. Keine Stimmen, nur Kälte.
Warum mußte der Marquis ihm das antun? Sah der Mann denn nicht, daß Damiano ihm mehr gegeben hatte, als jeder Befehlshaber sich erhoffen konnte? Sieg ohne Verluste, und das an einem einzigen Abend. Und wenn einer verdammt war, dann war das sein eigenes Unglück, und nirgends stand geschrieben, daß er dazu noch ermordet werden sollte. Einen Verdammten zu töten, mußte ein schlimmeres Verbrechen sein als einen Heiligen zu töten, denn für einen Verdammten gab es nichts Gutes außer dem, was das Leben ihm bereithielt.
Tränen des Selbstmitleids
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