Damit Dein Leben Freiheit Atmet
die Frage der Mülltrennung und
Müllentsorgung beschäftigen uns heute sehr. Bei aller Sehnsucht nach Reinheit produziert unsere Gesellschaft soviel Müll wie nie zuvor. Wir möchten den Müll entsorgen und belasten damit die Umwelt. Wir sehnen uns nach einer reinen Natur, nach einem Umweltschutz, der uns die Natur genießen läßt. Aber mit unserer übertriebenen Sehnsucht nach Reinheit verschmutzen wir die Umwelt in einem nie dagewesenen Ausmaß.
Ausgerechnet Wäschereien, von denen wir saubere Wäsche erwarten, verschmutzen die Flüsse. Die Tendenz, möglichst viele Flüsse zu begradigen und Wege zu betonieren, war mit schuld an der Flutkatastrophe im Sommer 2002, die ganze Städte mit Schlamm und Dreck verunreinigt hat. Der Schmutz, den wir uns mit Beton vom Leib halten wollten, hat uns überschwemmt.
Das Reinheitsstreben ist oft mit Aggression verbunden. Die Sprache verrät das: Da wird ein Generalreiniger angepriesen.
Kinder werden oft mit großem Druck zur Reinlichkeit erzogen.
Es gibt Putzfanatiker. In einem Haus, das von Putzfanatikern
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beherrscht wird, kann man sich nicht zu Hause fühlen. Da ist alles steril. Da werden die Vorschriften für das Verhalten schlimmer, als es je die strengen jüdischen Reinheitsvorschriften waren. In religiösen Gemeinschaften und in Familien gibt es die Müllfanatiker, die jeden Papierkorb durchwühlen, um nach Dingen zu suchen, die nicht dort hineingehören. So richtig ihr Anliegen ist, so können sie doch mit ihren absoluten Vorstellungen die ganze Gemeinschaft terrorisieren. Sie sind so auf Reinheit fixiert, daß sie ständig im Dreck wühlen müssen.
Es gibt den Waschzwang. Er steht oft für die Sehnsucht nach Reinigung von einer Schuld, die man sich nicht eingestehen möchte. Im Waschzwang können wir die letztlich spirituelle Schicht erkennen, die allem Reinigen anhaftet. Wer von einem Waschzwang beherrscht wird, möchte sich von der Schuld rein waschen, die ihm angst macht. Der Waschzwang verweist letztlich auf die spirituelle Dimension des Waschens. Es geht im Waschen letztlich darum, sich von Schuld zu reinigen, die einen beschmutzt. Ein Pfarrer erzählte mir, er mußte immer unter die Dusche gehen, wenn er in der früheren DDR im Gespräch mit den Behörden seine innere Klarheit verleugnet und sich zu sehr angepaßt hatte. Offensichtlich genügte ihm nicht der Glaube an die vergebende Liebe Gottes. Er brauchte ein Waschritual, um den inneren und äußeren Schmutz abzuwaschen. So ist im Waschen beides vorhanden: die spirituelle Dimension als Sehnsucht nach Reinheit und Freiheit von Schuld und Schuldgefühlen und die zwanghafte Seite, die aus lauter Angst vor dem Schmutz zu immer skurrileren Formen von
Reinigungszwängen führt.
Die Aggressivität, die mit der Vorstellung von Reinheit verbunden ist, zeigt sich in der Forderung nach der reinen Kirche, nach der reinen Gesellschaft, die nicht durch Fremde getrübt werden dürfe. Der Naziterror propagierte die Rassenhygiene und verfolgte sie mit brutalsten Mitteln. Bei den Massenmorden in Jugoslawien und Ruanda sprach man von
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»ethnischer Säuberung«. Die Kirche verbrannte Ketzer und Hexen. Sie verfolgte damit eine spirituelle Hygiene. Doch mit dem Streben nach spiritueller Reinheit machte sie sich die Hände schmutzig. Aber wir brauchen nicht in die Vergangenheit zu schauen. Auch heute beschmutzen spirituelle
Reinheitsfanatiker, Andersdenkende und Andersgläubige mit üblen Beschimpfungen. Reinheit und Schmutz hängen also eng zusammen. Wer absolute Reinheit möchte, merkt gar nicht, wie er die Welt verschmutzt. Das gilt in gleicher Weise von den hygienischen und spirituellen Reinheitsideologen.
Aber nicht nur in den Bereichen der Hygiene und der Spiritualität spielt Reinheit eine große Rolle. Das eigentliche Feld, auf dem heute der Kampf um Reinheit ausgetragen wird, ist die Moral. Wer unmoralisch handelt, der ist unrein, unsauber.
Er macht schmutzige Geschäfte. Theologisch gesprochen ist unmoralisches Verhalten Sünde oder Schuld. Doch die archaische Vorstellung, daß man sich durch unsauberes Verhalten beflecke und beschmutze, wirkt auch heute noch weiter. Man hat das Bedürfnis, die Gesellschaft von unmoralischem Verhalten zu reinigen. Und wie in früheren Zeiten belegt man auch heute ganze Bereiche mit dem Begriff
»unrein«: Wer mit Geld umgeht, macht sich »die Hände schmutzig«. Politik ist ein »schmutziges Geschäft«. Die Korruptionsfälle in jüngster Zeit haben dieses Vorurteil
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