Dance of Shadows
war … «, begann Kate.
»Genau das meine ich!« Mrs Adler rang die Hände. »Sie sind kaum älter als Vanessa. Wie können Sie immer wissen, wo sie ist und mit wem sie ihre Zeit verbringt? Dass sie ihre Hausaufgaben macht und die Übungszeiten einhält, wo es hier Dutzende von Ablenkungen gibt? In Manhattan kann naiven jungen Mädchen viel zustoßen.«
Es trat eine unbehagliche Stille ein. Mrs Adler umklammerte den Rand der Kommode und schien den Atem anzuhalten. Einen Moment lang wünschte sich Vanessa, dass ihr Vater einschreiten und ihrer Mutter sagen würde, dass sie überreagiert hatte – aber so lief das bei ihren Eltern nicht. Ihre Mutter gab die Anweisungen, und ihr Vater befolgte sie.
»Tut mir leid«, sagte ihre Mutter, die sich jetzt wieder beruhigte. »Ich mache mir nur Sorgen um sie.« Sie drehte sich zu Vanessa um.»Ich begreife, dass du unbedingt tanzen willst. Ich verstehe es wirklich, denn früher war ich genauso wie du. Aber bist du dir wirklich sicher, dass du hierbleiben willst? Denn es gibt da draußen in der Welt auch noch viele andere Dinge … «
»Mama, mir wird’s hier gut gehen. Hör auf, dir Sorgen zu machen.«
Diese Unterhaltung hatten sie schon geführt – und zwar viele, viele Male. Ihre Mutter wollte, dass sie zu Hause blieb und in Massachusetts auf eine normale Schule ging. Aber Vanessa wollte … na ja, es ging nicht so sehr darum, was sie tun
wollte
, sondern eher darum, was sie tun
musste
.
Sie musste hierbleiben. An der New Yorker Ballettakademie. An derselben Schule, auf die Margaret gegangen war.
Nachdem der Brief mit der Zusage gekommen war, hatte Vanessa monatelang mit ihrer Mutter gestritten und versucht, ihre Zustimmung zu erlangen. Dass Vanessa ein Vollstipendium erhalten hatte, hatte der Sache nicht geschadet. »Die begabteste Tänzerin, die wir beim Vortanzen hier hatten«, hatte einer aus dem Prüfungskomitee gesagt. »Das liegt wohl in der Familie.«
Schließlich hatte Mrs Adler nachgegeben.
Vanessa schaute Kate an und zuckte entschuldigend mit den Schultern. Sie hoffte, dass das Gemecker ihrer Mutter nicht schon rufschädigend für sie gewesen war. Das konnte sie gerade noch gebrauchen: In einer Klasse, in der nur zehn Mädchen und zehn Jungen waren, die Außenseiterin zu sein – das wäre ja ein toller Start! Aber zu Vanessas Erstaunen zwinkerte Kate ihr zu und wandte sich an ihre Mutter.
»Natürlich ist Manhattan ein aufregender Ort«, sagte sie, und der Krach von Autohupen, der von der Straße hereindrang, unterstrich ihre Worte. »Ich kann Ihnen zwar nicht versprechen, dass ich weiß, was Vanessa in jeder Minute ihrer Zeit hier macht, aber was ich versprechenkann, ist, dass wir hier alles tun, was in unserer Macht steht, damit unsere Schüler sich glücklich und sicher fühlen. Es gibt Zeiten, zu denen man abends zu Hause sein muss, und es gibt Ausgangssperren. Und für gewöhnlich sind hier alle so beschäftigt, dass kaum Zeit bleibt, sich in der Stadt herumzutreiben.«
Mrs Adler entspannte sich sichtlich. »Gut.«
»Wunderbar.« Kate schob sich das Klemmbrett unter den Arm. »Dann lasse ich Sie mal auspacken. Vanessa, wir sehen uns in zwei Stunden in der Einführungsveranstaltung – im Großen Saal der Juilliard School, dritter Stock. Wenn du noch Fragen hast, ich bin in der Nähe.«
Mrs Adler warf einen kurzen Blick auf Vanessa und trat dann in den Flur hinaus. »Ich hätte da noch ein paar Fragen«, sagte sie zu Kate.
Als sie außer Hörweite waren, schüttelte Vanessa den Kopf, dass ihr das rote Haar nur so um die Ohren flog. »Also, das war doch wirklich bekloppt.«
Ihr Vater lächelte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er war ein gut aussehender Mann, und Vanessa hatte ihre Gesichtszüge von ihm geerbt, auch ihre Größe und das rote Haar, das bei ihm mittlerweile zu einem distinguierten Rostrot geworden war. Sie war kein empfindliches Pflänzlein wie ihre Mutter oder ihre Schwester Margaret. Das war sicher auch ein Grund dafür, dass sie eine so hervorragende Tänzerin war. Niemand erwartete, dass sie schwerelos war, aber wenn sie ein
grand jeté
ausführte, schien sie mit einer ätherischen Leichtigkeit durch die Luft zu fliegen. Ihre Füße tanzten wie von selbst im Spitzentanz über die Bühne, während sie sich in einen weißen Schwan verwandelte, in eine schlafende Prinzessin oder in eine Zuckerfee, und ihr roter Haarschopf leuchtete dabei im Scheinwerferlicht, als würde er unter Strom
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