Dance of Shadows
dass ich ein Typ bin, der gerne Tanzstrumpfhosenund Schläppchen trägt und kein rotes Fleisch isst«, fuhr Blaine fort. »Da ist es nicht gerade leicht, in Texas groß zu werden. Wisst ihr eigentlich, wie schwierig es ist, da unten einen anständigen Salat zu bekommen?«
Alle brachen in Gelächter aus. »So schlimm ist es auch wieder nicht«, sagte Elly und setzte sich neben TJ aufs Bett. »Und im Süden gibt es etwas ganz Besonderes, was es im Rest des Landes nicht gibt.«
»Jede Menge Mountain-Dew-Limonade?«, lachte TJ.
Elly lächelte, und ihre Lippen bildeten einen pinkfarbenen Halbmond. »Es gibt Südstaaten-Gentlemen, vorzugsweise aus Alabama.«
Blaine verdrehte die Augen. »Für mich sind das alles Bauern. Bauern mit großen Hacken.«
Vanessa lachte. »Ich bevorzuge Poloshirts und Chinos und nicht Frackschöße und Fliege«, sagte sie. »Aber ich komme ja auch aus Massachusetts.«
»Genau das meine ich«, sagte Blaine. »Ich könnte mir natürlich auch einen russischen Tänzer suchen. Die sind so ernst, das liebe ich. Es wäre mir auch egal, wenn er kein Englisch könnte. Solange er mich nur wirklich liebt und mich mit Kaviar füttert und mir dann hilft, meine Matroschka-Puppen richtig ineinanderzustellen.« Er machte eine Pause. »Nicht dass ich Matroschka-Puppen hätte.« Vanessa und die anderen Mädchen starrten ihn noch immer an.
»Und wie würdet ihr euch verständigen?«, fragte Elly zweifelnd.
»Meine Süße«, sagte Blaine, beugte sich zu ihr hinüber und machte mit seinen langen Wimpern einen koketten Augenaufschlag. »In der Sprache der Liebe braucht man keine Worte. Hast du nicht
Arielle, die Meerjungfrau
gesehen?«
Nun musste sogar Steffie lachen. »Genug von russischen Männern und kleinen Puppen und Disneyfilmen. Wir sind hier, um zu tanzen.«
Elly klappte ihren Laptop auf, der auf dem Deckel einen großen herzförmigen Aufkleber hatte. Sie zeigte ihnen Fotos von berühmten Tänzern, die ihren Abschluss an der New Yorker Ballettakademie gemacht hatten: Anastasia Petrowa in der Hauptrolle in
Giselle
, Alexander Garrel als der kraftvolle Mäusekönig im
Nussknacker
und Juliana Faraday als ätherische Prinzessin Aurora in
Dornröschen
.
»Das sind diejenigen, die es geschafft haben«, sagte Blaine. »Und was ist mit denen, die es nicht geschafft haben?«
Vanessa erstarrte. »Was meinst du damit?«
Elly meldete sich zu Wort. »Ich habe gehört, dass sich ein Mädchen letztes Jahr während einer Probe das Bein gebrochen hat. Ein Junge hat sie mitten im Sprung fallen lassen. Einer aus der obersten Klasse hat mir erzählt, er hätte gehört, wie ihr Knochen geknackst hat.«
Vanessa schauderte.
»Zwanzig werden aufgenommen«, sagte TJ ernst, »aber nur wenige überleben hier lange genug, um ihren Abschluss zu machen.«
»Viele müssen wegen einer Verletzung aufhören«, sagte Blaine.
»Man kann sich zum Beispiel einen Zeh brechen«, schaltete Steffie sich ein. »Ich habe mir letztes Jahr fast einen gebrochen.« Ein schmales Silberkettchen klimperte, als sie mit dem Fuß wackelte.
»Es können auch Herzen gebrochen werden«, fügte Elly hinzu und sah Blaine geheimnistuerisch an. Er warf ein Kissen nach ihr.
»Es gibt auch Schüler, die wegen Gewichtsproblemen oder Drogen nach Hause geschickt werden«, sagte Vanessa.
»Wenn ihr tanzt, fühlt ihr euch dann auch manchmal anders?«, fragte Steffie plötzlich. »So als ob man … «
» … aus seinem Körper heraustritt?«, fragte Vanessa und erschrak über sich selbst.
»Hm – nein, ich wollte eigentlich sagen: schwerelos.«
»Aus dem Körper heraus?«, fragte TJ mit amüsiertem Lächeln. »Soals ob dir schwindelig wäre? Vielleicht hältst du den Körper nicht richtig in der Achse.«
Vanessa lachte verlegen. »War nur ein Scherz«, sagte sie peinlich berührt.
Es überkam sie nur ganz selten – das merkwürdige Gefühl, als trete sie aus ihrem Körper heraus. Wenn Vanessa so perfekt tanzte, dass die Musik mit ihrem Herzschlag in Einklang war, versank die Welt um sie herum und sie fühlte sich, als würde sie über sich selbst hinauswachsen. Aber vielleicht war es auch nur Dehydrierung, das sagte ihre Mutter jedenfalls immer, wenn sie das Gespräch darauf brachte.
Als Vanessa aufschaute, merkte sie, dass Steffie sie aufmerksam betrachtete. Sie spürte, wie sie rot wurde, aber Steffie lächelte sie nur verständnisvoll an, als wollte sie sagen:
Was immer dein Geheimnis sein mag, bei mir ist es gut aufgehoben.
»Die
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