Daniel Taylor und das dunkle Erbe
hätte es sehr schön gefunden, wenn Nessa ihn einfach so irgendwohin eingeladen hätte.
Sie hat dich doch gerade gefragt, ob du mit zum See kommen willst, du Idiot, schalt er sich. Du hättest nur Ja sagen müssen. Egal was er tat, er machte es falsch. Die anderen sollen bloß nicht denken, wir hätten ein Date, redete er sich heraus. Daniel wollte nicht, dass Vanessa seinetwegen ebenfalls zur Außenseiterin wurde, dafür hatte er sie viel zu gern.
Obwohl der Weg vor ihnen abschüssiger wurde, gab Daniel weiterhin Gas. Dennoch klebte Vanessa wie eine Klette an ihm. »Es schadet dir bestimmt nicht, wenn du mal am Leben teilnimmst, anstatt den ganzen Tag in deiner dunklen Dachkammer zu sitzen!«, rief sie gegen den Fahrtwind an.
Vanessa hatte ja recht, aber im Moment ging es wirklich nicht. Zudem kündigten sich schon wieder diese quälenden Kopfschmerzen an, die ihn seit Wochen heimsuchten. Sie begannen mit einem harmlosen Pochen im Hinterkopf und verschlimmerten sich, je mehr er der Sonne ausgesetzt war. In seinem düsteren Zimmer überstand er die Anfälle noch am schnellsten. Der Fahrtwind, der sein Haar wild durcheinanderwirbelte und unter sein Shirt wehte, brachte kaum Linderung.
Daniel atmete auf, als sie in ihre Straße einbogen. Die typische Vorortsiedlung von Little Peak mit den klassischen Reihenhäusern und den tiefgrünen Rasenflächen war seine Heimat. Hier kannte Daniel jeden Winkel und jeden Nachbarn. Hier hätte er sich wohlfühlen können, aber etwas in seinem Inneren sträubte sich dagegen. Daniel lehnte sich in die Kurve und genoss die Geschwindigkeit, dann ließ er das Rad ausrollen.
Parallel zur Grayson Street, gleich hinter der Häuserreihe, lag ein kleines Waldstück, in dem Vanessa und er als Kinder viel Zeit verbracht hatten. Ihr altes Baumhaus existierte noch immer. Dorthin zog sich Daniel manchmal zurück, wenn sich der Rest der Welt anscheinend wieder gegen ihn verschworen hatte und er einen ruhigen Ort zum Nachdenken brauchte.
Nessa hatte ihn eingeholt, bremste und stieg vom Mountainbike ab. Auch Daniel blieb vor Vanessas Haus stehen, um sich von ihr zu verabschieden. Die Häuser ihrer Familien lagen direkt nebeneinander und glichen sich wie ein Ei dem anderen: Nummer 24 und 26 waren in einem hellen Beige gestrichen und bestanden aus zwei Stockwerken mit einem spitzen Dach, unter dem Daniel und Vanessa ihre Zimmer hatten. Vor der Veranda lag ein kleiner Garten, und in das Holzgebäude war eine Doppelgarage integriert, deren Tor weiß getüncht war.
Jetzt, wo der Wind nicht mehr für Abkühlung sorgte, schwitzte Daniel umso mehr. Sein Gesicht glühte, ein Schweißtropfen lief ihm ins Auge. Aus einem Reflex heraus hob er sein T-Shirt hoch, um sich mit dem Stoff über das Gesicht zu wischen, während er mit der anderen Hand sein Rad am Lenker festhielt.
»Der Wahnsinn«, flüsterte Vanessa, woraufhin er sein Shirt fallen ließ. Vanessa starrte auf seine Körpermitte, hob jedoch sofort den Blick.
Daniel räusperte sich. »Was?« Plötzlich war es ihm peinlich, dass sie seinen Bauch gesehen hatte. Ihm wurde noch heißer.
Vanessas Gesicht rötete sich. »Ich hab nichts gesagt.«
Daniel seufzte leise. Wahrscheinlich war er schon verrückt. Ihn verfolgte manchmal ein seltsam aussehendes Mädchen und er hörte Stimmen.
Dann lieber Superheld – allerdings war Daniel so weit bei Verstand, dass ihm diese Möglichkeit nicht sehr wahrscheinlich erschien.
Vanessa öffnete ihre Gartentür und hob die Hand. »Also, wir sehen uns.« Sie wirkte betrübt, und das verursachte in Daniels Magen ein unangenehmes Grummeln.
»Bye«, sagte er bloß, als er auf sein Rad stieg. Er fuhr eine Einfahrt weiter und direkt in die Garage hinein. Das Tor stand immer offen, wenn seine Mutter nicht zu Hause war. Seit Kurzem arbeitete sie wieder als Krankenschwester im Schichtdienst. Das war Daniel nur recht. Je weniger Menschen er um sich hatte, desto besser. Wenn seine Andersartigkeit aufflog, würden sie ihn bestimmt wegsperren.
So weit wird es nicht kommen , dachte er mit grimmiger Entschlossenheit, vorher hau ich ab. Dann sehe ich L.A. eben schon eher.
Vanessa stand vor ihrem Ankleidespiegel und ließ sich von einem Ventilator erfrischen. Kopfschüttelnd probierte sie den dritten Badeanzug an. »Nein, darin sehe ich ja aus wie ein Skelett!« Ihre Beckenknochen zeichneten sich leicht durch den Stoff ab. Ich bin viel zu dünn. Das macht mich kein bisschen weiblich , dachte sie frustriert. Schnell schlüpfte
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