Daniel Taylor und das dunkle Erbe
sie aus dem elastischen Material und entschied sich schließlich für den weißen Bikini. Der ließ ihre Brüste wenigstens ein bisschen größer wirken. »Wahrscheinlich möchte mich Danny deswegen nicht zum See begleiten«, murmelte sie. »Ich bin flach wie ein kleines Mädchen.« Dabei war es ihr so schwergefallen, ihn überhaupt zu fragen.
Seufzend schaute sie zum Fenster, vor dem sie zuvor die Jalousie heruntergelassen hatte, damit Daniel ihr nicht beim Umziehen zusehen konnte. Vanessa fand es äußerst praktisch, dass sie beide ihre Zimmer im Dachgeschoss hatten und sich die Häuser so gegenüberlagen, dass sie ihn immer beobachten konnte. Als Kinder hatten sie sich vor dem Schlafengehen Morsezeichen mit der Taschenlampe geschickt, aber diese Zeiten waren vorbei.
Schweren Herzens schüttelte sie den Kopf. Zur Party will er auch nicht mit mir, ach, verdammt, wenn ich nicht so schüchtern wäre, hätte ich ihn so lange gelöchert, bis er zugesagt hätte!
Vanessa beugte sich über ihren Schreibtisch, um eine Lamelle der Jalousie anzuheben. Als sie Danny entdeckte, der ebenfalls an seinem Tisch saß, der sich wie ihrer vor dem Fenster befand, griff sie nach dem Fernglas. Sie erkannte ihn auch ohne Vergrößerung über die paar Meter Entfernung, aber er hatte sein T-Shirt ausgezogen und da musste sie schließlich genau hinsehen! Sie hatte vorher schon eine Kostprobe von seinem muskulösen Bauch bekommen und war jetzt neugierig. Anscheinend war Danny gerade aus der Dusche gekommen, denn sein schwarzes Haar schimmerte feucht. Die dunklen Strähnen hingen wirr in sein Gesicht und ließen ihn verdammt gut aussehen. Mit hinter dem Kopf verschränkten Armen lehnte er lässig in seinem Drehstuhl und starrte an die Decke.
Bei seinem Anblick bekam Vanessa weiche Knie und Herzrasen. »Wow!« So gefesselt war sie von seinem Anblick, dass es sie nicht einmal störte, als sich eine Büroklammer in ihren Ellbogen drückte. Jetzt die Nase in sein rabenschwarzes Haar vergraben und diesen schlanken Hals küssen , fantasierte sie und ließ den Feldstecher weiter an Daniel hinabwandern. Für seine siebzehn Jahre besaß er ungewöhnlich viele Muskeln, die ihr noch nie so deutlich aufgefallen waren wie heute. Zuletzt hatte sie ihn nackt gesehen, als sie beide als Fünfjährige im Planschbecken gesessen hatten. Schade, dass er nicht mit zum See kommen wollte, da hätte sie ihn sich genauer betrachten können. Vanessa freute sich, weil er einmal nicht vor dem Computer saß, sondern sich ihr derart freizügig präsentierte. Meistens war vor seinem Fenster den ganzen Tag die Jalousie heruntergelassen.
Früher waren sie öfter zusammen ein Eis essen gewesen, aber in letzter Zeit hatte sich ihre Beziehung verändert. Sie waren eben keine Kinder mehr. Leider. Da war irgendwie alles unkomplizierter gewesen.
Jeden Morgen, wenn Daniel zur Schule fuhr, passte sie ihn ab, und auf dem Pausenhof ließ sie ihn nie aus den Augen, da Vanessa am liebsten ständig in seiner Nähe sein wollte. Seit der Junior High ging das schon so. Immer wenn sie ihn sah, verkrampfte sich ihr Magen vor Aufregung, sodass sie deshalb oft nichts essen konnte. Beim Einschlafen dachte sie ebenfalls an Danny, an seine dunkelgrünen Augen und die Grübchen in den Wangen, wenn er mal lächelte. Was für ein Glück, dass ihr das Lernen so leichtfiel, sonst hätte sie bestimmt schon viele schlechte Noten mit nach Hause gebracht, weil sie Danny nicht mehr aus dem Kopf bekam.
»Was hast du nur mit mir angestellt?«, murmelte sie und seufzte.
Gerade als sie das Fernglas sinken lassen wollte, bewegte sich Daniel. Er drehte sich zu seinem Tisch und schien etwas aufzuschreiben.
Macht der tatsächlich schon seine Hausaufgaben? Seit wann ist er unter die Streber gegangen?
Als er ein großes Blatt Papier ans Fenster hielt, auf dem in dicken schwarzen Buchstaben stand: »Ich weiß, dass du mich beobachtest!«, blieb ihr fast das Herz stehen. Sie ließ die Lamelle der Jalousie los und fiel beinahe rückwärts vom Tisch. Ihr Puls raste. Mit seinen katzenhaften Augen schien er sie direkt anzusehen!
Wie konnte er das wissen? Danny besaß die Instinkte eines Raubtiers!
Unruhig lief sie in ihrem Zimmer auf und ab, wobei sie in ein helles T-Shirt und einen geblümten Rock schlüpfte. Wie peinlich, Danny hält mich bestimmt für einen Spanner! Oder er hat Verdacht geschöpft. O nein, was ist, wenn er jetzt vermutet, dass ich in ihn verknallt bin? Und was ist, wenn er das überhaupt nicht
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