Daniel Taylor und das dunkle Erbe
mag und von nun an kein Wort mehr mit mir spricht? Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. Aber ihre Neugier war einfach zu groß.
Vorsichtig schob sie wieder eine Lamelle nach oben, doch Daniel saß nicht mehr an seinem Schreibtisch. Dafür hatte er ein anderes Blatt ans Fenster geklebt, auf dem stand: »Okay, ich komme mit auf die Party.«
»Ja! Ja! Ja!« Freudestrahlend hüpfte Vanessa vom Tisch und tanzte im Zimmer herum wie ein verrückt gewordener Kobold.
Vanessa fühlte sich immer noch wie im siebten Himmel, als sie sich auf das Badetuch legte, um ihren nassen Bikini von der Sonne trocknen zu lassen. Der kleine See mit dem angrenzenden Wald war eine Freizeitoase für die Bewohner von Little Peak und lag am Fuße der Anhöhe, auf der die Stadt erbaut war. Im Sommer traf man hier beinahe jeden Einwohner, der nicht arbeiten musste oder anderweitig beschäftigt war, und auch jetzt – Ende Oktober – war es in diesem Teil Kaliforniens zum Baden warm genug. Fahrende Eisverkäufer und Imbissbuden luden zu einem Snack ein; es wurde Beachvolleyball, Basketball und Tennis angeboten. Außerdem gab es eine Minigolfanlage sowie einen großen Abenteuerspielplatz. Im weitläufigen Wald war erst letztes Jahr ein Weg für Rollschuhfahrer und Skater frisch geteert worden, und Little Peak konnte sich mit einem hochmodernen Trimm-dich-Pfad rühmen. Ein paar Mal hatte Vanessa das Angebot genutzt, um eine Runde zu joggen, doch weil sie fürchtete, dadurch noch dünner zu werden, hatte sie den Sport aufgegeben. Das war natürlich Unsinn, denn mit ein paar Muskeln mehr würde sie nicht so zierlich wirken. Vielleicht sollte sie die Ausreden nicht mehr gelten lassen und wieder mit dem Laufen anfangen.
Ein Marienkäfer turnte auf einem Gänseblümchen. Vanessa beobachtete verträumt, wie er versuchte, den nächstgelegenen Grashalm zu erreichen, während ihr die Sonne den Rücken wärmte.
Colleen berührte ihre Schulter. »Sieh mal, Nessa, ist das da hinten nicht Daniel, der grad ins Wasser geht? Der mit der blauen Badehose.« Colleen nickte unauffällig an das gegenüberliegende Ufer, wobei sie sich das feuchte, blonde Haar abtrocknete.
Sofort schlug Vanessas Herz schneller. Sie zog ihr Käppi tiefer in die Stirn und taxierte den großen Jungen mit den dunkelblauen Shorts. Obwohl er sich weiter weg befand, hatte sie ihn ebenfalls gleich erkannt. Er ist beinahe schon ein Mann, und ich hab nur so einen Minibusen , dachte sie. Das Ziehen hinter ihrem Brustbein zeigte ihr wieder, wie sehr sie in Danny verknallt war. »Er hat doch gesagt, er wolle nicht herkommen«, murmelte sie und spürte eine enorme Enttäuschung in sich aufsteigen. Er schämte sich wahrscheinlich, mit ihr gesehen zu werden.
»Er ist süß, hm?« Nachdem Colleen eine Brille aus ihrem Strohkorb gekramt hatte, blickte sie unverhohlen zum anderen Ufer. »Ja, er hat schon was, zumindest einen süßen Knackarsch.«
Nessa zuckte mit den Schultern und schob die plötzliche Hitze in ihrem Gesicht auf die gnadenlose Sonne. Obwohl Colleen ihre beste Freundin war, hatte Vanessa ihr bis jetzt nichts erzählt. Das mit Danny war ihr ganz persönliches Geheimnis.
»Schade, dass er so ein komischer Typ ist«, sagte Colleen, bevor sie ihre Brille in den Korb zurücklegte.
Nessa fuhr zu ihr herum. »Wie meinst du das?«
»Na ja, er ist irgendwie so … anders, und dann die langen schwarzen Schlabbersachen, die er immer anhat. Er sieht aus wie der Bruder von Gevatter Tod oder einer von diesen Gothic-Freaks.«
»Viele stehen auf schwarze Klamotten. An unserer Schule gibt es auch ein paar Goths. Ich finde die ganz nett. Die tun keinem was.«
»Wieso ist dann Daniel nicht bei ihnen? Er ist immer allein.« Colleen runzelte die Stirn. »Früher war das doch auch nicht so.«
Vanessa erinnerte sich ebenfalls, dass er ab und zu mit anderen Jungs unterwegs gewesen war. Wann hatte sich das geändert?
Colleen senkte die Stimme. »Ich kann es nicht genau erklären, aber ich finde ihn ein wenig unheimlich. Er guckt oft so finster, ist irgendwie … na anders.«
Nessa machte nur »hmm«, da sie Coll überhaupt nicht zustimmen konnte. Na ja, fast nicht. Daniel war wirklich ein wenig anders geworden. Vanessa war froh, so eine Freundin wie Colleen Clayton zu haben, auch wenn sie ein wenig eifersüchtig auf ihre strahlend blauen Augen und ihre perfekte Figur war. Alle Jungen in der Schule waren scharf auf sie. Kein Wunder, dass Danny sie neben so einer Traumfrau nicht bemerkte! Colleen und
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