Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
Berechnungen beziehen sich ja immer auf Menschen, diese massigen Wesen, aber so eine kleine Maus wie mich haut es doch beim ersten Telefonat gleich aus den Socken. Ja, Sie haben richtig gelesen: Socken. Ich leide schon seit Langem unter Schwierigkeiten mit dem Blutdruck, der ist immer zu niedrig, also habe ich immer zu kalte Füße. Und es gibt in unserer Stadt einen Laden, der fertigt Strümpfe für Vögel an, weil die sich ja auch viel draußen aufhalten. Da bin ich dann halt mal hin und fand nach viel Probiererei auch etwas.
Aber zurück zum Handy. Ich kenne einige, die darauf schwören, und ich sehe auch die Vorteile, die eine schnelle Erreichbarkeit, Kamera- und Kalenderfunktion sowie Internetzugang und so weiter haben, ich finde aber abgesehen von der Frage der Gesundheit die Frage des Transports nicht gelöst. Ich kannte eine Maus, Hausmaus wie ich, die hatte sich für den Transport ihres Nokia 20-irgendwas eine Tasche aus einer Bluse angefertigt, die sie einer Dame in einer Schwimmbadumkleide zerbissen hatte. Und dann ist sie trotzdem mit ihrem Handy so unglücklich gestürzt, dass sie unter seinem Gewicht zwei Tage nicht mehr hochkam. Und als man sie gefunden hat, da war sie schon meschugge.
Das war mir eine Warnung.
Lange Rede, kurzer Sinn, was ich damit ja nur sagen wollte:
Ich musste mein Leben wieder neu erfinden.
»Jetzt hilf doch mal einer dieser dussligen Maus in die Klamotten!«, brüllte der Fotograf seine zwei Produktions-Assistentinnen an, und schon stopfte mich die dickere der beiden in einen total albernen Tankini mit türkis-braunen Streifen.
Ich hatte ein Fotoshooting. So etwas war mir auch noch nicht untergekommen. Seit vier Stunden rekelte ich mich in unterschiedlichen »Outfits«, wie sie das hier nannten, vor Günnis Kamera, vor dem Herrn, der grundsätzlich alles brüllte, was er mitzuteilen hatte. »Kann denn mal jemand diesem Vierbeiner klarmachen, dass sie sich auf das rechte Vorderbein aufstützen soll?! Sooo, jaaa, seehr schön, bleib so! IN DIE KAMERA GUCKEN, DU SOLLST IN DIE KAMERA GUCKEN, DU KANALRATTE!!«
Wäre ich eine Kanalratte, hätte ich nicht seit eineinhalb Wochen bei einer Familie mit einer elfjährigen Tochter gewohnt. Sie war vollkommen außer sich gewesen, als sie mich auf ihrem Bett hatte hocken sehen. Außer sich vor Freude. Vielleicht übertreibe ich jetzt in der Erinnerung etwas, aber unser Erstkontakt war in jedem Fall von großer Sympathie auf beiden Seiten geprägt.
Des Nachts schlief ich nun in einem ihrer Puppenbettchen, tagsüber wurde ich verwöhnt mit dem, was sie mir auf ihrem Teller übrig ließ: Königsberger Klopse, Lammkoteletts, Sushi. Bei den Wellers achtete man auf gute Küche.
Ich genoss die Hingabe, mit der dieses Mädchen sich um mich kümmerte. Zum ersten Mal seit Tims Verschwinden empfand ich so etwas wie ein Zu-Hause-Gefühl. Ich werde Ihnen an späterer Stelle eingehend schildern, wie ich bei Polly mein neues Zuhause fand, wissen sollen Sie hier nur schon, dass Polly zu den bezauberndsten Wesen gehört, die man sich denken kann. Wenn Sie versuchen, sich ein Mädchen vorzustellen, das herzlich, schlau, lustig und total unabhängig ist, dann landen Sie ungefähr bei meiner Polly.
Ich tat Polly selbstverständlich und nur zu gerne den Gefallen, bei der Mäusekalender-Produktion im Verlag ihres Vaters gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Der Fotograf hatte ein Benehmen wie eine offene Hose, und ich fragte mich, wie er diese Anzahl Menschen gefunden hatte, die sich über mehrere Stunden am Tag anschnauzen ließ. Ich würde ja gleich wieder zur Tür hinaus und um eine Erfahrung reicher sein, die Mädels, die hier beflissen um mich herumsprangen und mit roten Flecken im Gesicht Günnis Anweisungen ausführten, schienen sich aber mit diesem Umgang eingerichtet zu haben.
Das hat mich schon oft irritiert bei meiner Beobachtung der Population Mensch: Es gibt sagenhaft schlecht erzogene Menschen, die andere herumkommandieren, anbölken und herabwürdigen, und es gibt immer ausreichend viele, die sich herumkommandieren, anbölken und herabwürdigen lassen. Zunächst vermutete ich ja, dass Letztere das gar nicht merken und deshalb den Unverschämtheiten widerstandslos Folge leisten, aber später stellte ich fest, dass die Angeblafften sich in ihrer Freizeit überall bitter beklagen, welch üble Chefs sie haben, und zudem diese Methode zu Hause eins zu eins auf ihre Kinder oder Gatten, wahlweise Gattinnen anwenden.
So etwas
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