Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
wurde zusammen mit meinem Bruder an vier Tagen in der Woche fremdbetreut durch eine von uns sehr geliebte dicke Maushälterin, die sich absolut gekonnt um den Haushalt kümmerte sowie um uns Kinder. Aber selbst unsere Nanny konnte die von uns gelegten Kinderspuren nie restlos beseitigen, bis unsere Eltern des Abends heimkehrten.
Überall in unserer Einfamilienhöhle lagen Utensilien herum, die wir auf Streifzügen eingesammelt und mit einigem Stolz in unseren Räumlichkeiten verteilt hatten. Tannennadeln, die man auf das Schlaflager eines Familienmitglieds legte, um dann heftige Reaktionen abzuwarten. Oder tote Vögel, die man gut die Wand hoch stapeln konnte. Irgendwann rochen die aber. Radieschen, Korane, Tesafilm, breit und schmal, Gardinenstangen, Bananen. Solche Sachen.
Es ging von meinen Eltern nie die Erwartung aus, dass es den Anschein haben sollte, es gäbe uns Nachwuchs nicht, oder wir sollten mal andere Dinge sammeln. Wir Kinder wussten immer: prima, dass es uns gibt. Einmal habe ich meine Mama sogar dabei erwischt, wie sie an einem Eierwärmer, den ich mir in einer Küche der Nachbarschaft besorgt hatte und als Mütze nutzte, herumschnüffelte und zu Papa sagte: »Kindergeruch! Eins der besten Parfums, findste nicht auch?«
Und nun befand ich mich hier in einem äußerst geschmackvoll-sterilen, übellaunigen Single-Haushalt von zwei Erwachsenen mit einem Kind. Das arme!
Wahrscheinlich heulte sich das Mädchen den ganzen Tag die Augen aus dem Kopf und sich abends in den Schlaf. Fest entschlossen, dieses arme Ding mit meinem warmen weichen Fell zu trösten, wenn es den ersten Schock überwunden hätte, dass sich in seinem Zimmer eine Maus befand, hoppelte ich möglichst geräuschlos die Treppe hinauf, um auf die Suche nach dem Kinderzimmer zu gehen.
Ich fand die Tür angelehnt und konnte durch den Spalt mit meiner zittrigen Nase schon wahrnehmen, dass sich hier ein Kind warm geschlafen hatte.
Meine Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, und ich hockte auf dem Bettrand des Mädchens, dessen Gesicht aber keinerlei Spuren von Tränen aufwies. Vielmehr schaute ich auf unzählige Sommersprossen, verteilt über eine entschlossene Stupsnase, zwischen den Augen eine kleine steile Falte, als würde sie im Traum etwas missbilligen.
Ich putzte mich für den Fall, dass sie gleich wach würde und dann nicht auch noch von einer verdreckten Maus überrascht werden wollte. Über eines bin ich ja heilfroh: Unsere Spucke müffelt nicht so wie Ihre. Wenn Sie sich den Handrücken durch Ablecken säubern wollten, würden Sie danach jämmerlich nach Lülle stinken. Es wäre für Sie absolut keine Lösung, Zuckerreste eines Teilchens von den Fingern zu lecken, anstatt sie mit Wasser zu entfernen, für uns schon.
Sollten Sie selbst noch nie darüber nachgedacht haben und jetzt dankbar sein, dass ich Sie darauf aufmerksam gemacht habe: bitte schön.
Ich putzte mich also, und zwar sehr gründlich, und zwar so, dass ich mich, wie mir das manchmal passiert, in einen kleinen Rausch putzte, das ist mir ein heiliger Akt. Ich habe keinen Waschzwang, das nicht, aber es ist schon so, dass ich regelrecht euphorisch werden kann, wenn meine kleine raue Zunge meinen ganzen Körper abfährt, über größere Flächen wie den Bauch, dann wieder in die Ecken, immer schön abwechselnd, hin, her, hin, her – das muss wohl so ähnlich sein, hat mir mal ein Mensch in einer Tierhandlung erklärt, als er mir dort beim Putzen zusah, wie wenn bei Ihnen das Ohr juckt und Sie dann mit einem Wattestäbchen darin herumschubbern. Während ich mich also säuberte für die erste Begegnung mit dem kleinen Mädchen, zuckte ich plötzlich zusammen, als mich ein Lichtstrahl erwischte.
»Na?«
Wieso schrie die denn jetzt nicht? Ich war doch eine Maus und saß ganz nah vor ihrem Gesicht, wo vorher noch niemand gesessen hatte! Stattdessen war die Bettlampe eingeschaltet, und das Mädchen stützte sich auf die Ellbogen und grinste mich an. Ich war so perplex, dass ich sie nur anstarren konnte und auch meine Zunge sich noch nicht wieder in die Mundhöhle zurückgezogen hatte. Ich stand also vor ihr mit kreisrunden Augen und heraushängender Putzutensilie. Sie muss gedacht haben, ich sei eine Maus mit Handicap, bei dem Bild, was ich da abgab.
»Ich ... ääh, ... hallo«, brachte ich dann doch noch zustande, was meinen Ansprüchen für ein Kennenlernen zwar nicht genügte, aber immerhin aus der Stagnation herausführte.
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