Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
Schöpfung, heutzutage gar nicht mehr. Das könnten Sie mit Ihrem anfälligen Organismus ja gar nicht bewältigen, was die ehrgeizigen Tierforscher da alles mit uns anstellen. Eine Freundin von mir wurde einmal von einem Stammzellenforscher mit einer anderen Maus zu einer siamesischen Maus zusammengenäht und dann tagelang von einer ganzen Truppe von Medizinern begafft unter der Fragestellung, wie sich diese beknackte Idee auf die Entwicklung ihrer Zellen auswirkte. Die ist bis heute plemplem. Aber ihr Menschen seid nun einen Riesenschritt weiter in Eurer Stammzellenforschung: Bitte schön, wir helfen gern.
Aber wo war ich denn eigentlich stehen geblieben? Bei diesem unerfreulichen Fotoshooting, jetzt weiß ich es wieder. Doch dazu ist eigentlich alles gesagt. Deswegen schwoff ich wahrscheinlich auch ab. Beziehungsweise schwiff. Das sieht aufgeschrieben genauso blöd aus. Ach, machen Sie mit dem Wort doch, was Sie wollen. Ich will Sie jedenfalls nicht weiter mit Beispielen der unschmeichelhaften Menschensorte behelligen. Schließlich sind Sie bestimmt ein total Sympathischer. Das hab ich irgendwie im Gefühl. Dass Sie einer von diesen richtig angenehmen Menschen sind, so mit alten Leuten über die Straße helfen und lauter so Sachen. Die gibt es ja auch. Es gibt ja nicht nur die Idioten bei Ihnen, es gibt ja auch ganz, ganz Tolle, unheimlich Lustige und super, super Nette. Manchmal steht man einfach nur ein bisschen auf der Leitung, deshalb fällt mir jetzt nicht sofort jemand ein. Weil ich auch so unbedingt will, dass mir direkt einer einfällt, das ist es ja. Würde ich hier nicht so krampfhaft überlegen, dann hätte ich schon längst ganz, ganz viele Leute in Erinnerung, die ich Ihnen unbedingt vorstellen müsste, weil sie eben so irre sympathisch sind. Ganz viele. Wahrscheinlich auch wieder zu viele, um die hier alle zu nennen. So irre viele nette Leute gibt es ja bei Ihnen. Wissen Sie ja selbst.
Von wem ich Ihnen aber unbedingt mehr erzählen muss, das versprach ich ja bereits, ist das kleine Mädchen, bei dessen Familie ich untergekommen war.
Ich hatte mich eines Tages wegen heftiger Regenfälle in einen Keller zurückgezogen. Dieser Keller befand sich in einem individuellen kleinen Reihenhaus in einer individuellen Straße. Das ist so eine Straße, in der alle Häuser eigentlich recht gleich sind und in einer Reihe stehen, aber die sind dann doch sehr individuell, weil unterschiedlich im Anstrich oder hier mal ein Dachausbau, dort keiner. Nur die Raumaufteilung innen, die ist dann wieder in jedem Haus gleich, weil es sich halt so anbietet, dass alle unten rechts ihre Küche haben, links vom Eingang das Gästeklo und wenn man durchgeht, hinten das Wohnzimmer zum Garten raus. Erste Etage das Familienbadezimmer und die Schlafräume und darüber, je nach finanzieller Ausstattung der Bewohner, der Speicher mit Spinnweben oder ein Dachzimmer mit Holzboden. Fertig.
So wohnte auch Polly mit ihren Eltern. Mit Dachausbau.
Ich hatte den Abend abgewartet, weil es mir zu heikel war, im allgemeinen Werktagstrubel die Wohnräume der Familie Weller zu betreten. Nun war es dunkel, und ich fror erbärmlich, als ich den Kellerraum, durch dessen gekipptes Fenster ich mir nachmittags Zutritt verschafft hatte, verließ.
Mucksmäuschenstill – das können Sie übrigens ähnlich gut wie wir Mäuse, wenn Sie wollen! – war es im Haus. Das war für mich, die sich mit den Räumlichkeiten vertraut machen wollte, eher nachteilig. Ich verharrte also erst einmal bewegungslos in der Flurecke hinter der Tür zum Wohnzimmer und fand noch etwas Schutz hinter einem herunterhängenden Popelinemantelgürtel an der Garderobe.
So weit, so gut.
Es blieb aber nicht gut.
Durch den Schlitz, den die angelehnte Wohnzimmertür freigab, erspähte ich dort drinnen den Herrn des Hauses, Roland Weller, wie das Namensschild an der Haustür verriet, in einem Sessel sitzend, ein Buch in der Hand, ein Glas Rotwein auf dem Beistelltisch. Uaaah, dachte ich, so ein langweiliger Bildungsbürger, der außer Seitenumblättern keine Geräusche macht.
An der Wand stand das Sofa, auf dem Sonja Weller, gewickelt in eine Ikea-Decke – die hatte ich schon in mehreren Haushalten gesehen –, lag, mit einem Glas Weißwein auf dem zweiten Beistelltisch aus der gleichen Beistelltischserie, nur ein wenig kleiner, sodass man die beiden auch ineinanderschieben kann, wenn man möchte. Frau Weller hielt ebenfalls ein Buch in den Händen.
Ich fror in einem
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