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Dann fressen ihn die Raben

Dann fressen ihn die Raben

Titel: Dann fressen ihn die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Meinke
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hatte. Und dass dieser extrem grobkörnige Film zwar in Aalborg aufgenommen war, aber nicht notwendigerweise Jonathan zeigte. Und dass es der Polizei ohnehin am Arsch vorbeiging, wer Ikarus war. Stattdessen erwähnte ich in einem Nebensatz, dass wir den Fall selbst hätten in die Hand nehmen sollen, während Liv – ganz die Anwaltstochter – der Meinung war, wenn die Leute anfingen, die Arbeit der Polizei zu erledigen, hätten wir bald gesetzlose Zustände, Volkstribunale und blablablubb. Skalpell! Klammer! Und zunähen, bitte.
    „Na klar, Selbstjustiz!“, sagte sie. „Lass uns über Selbstjustiz schreiben, okay?“
    Ich nickte.
    „Du schreibst erst mal eine DIN-A-4-Seite darüber, warum die Bürger eingreifen sollten, wenn es sonst niemand tut. Warum es in Ordnung ist, sich zu wehren, wenn man angegriffen wird. Dein Thema. Darüber schreibst du. Und ich werde über die Kehrseite dessen schreiben.“
    Dann schob sie ihren Stuhl zurück und sah mir in die Augen.
    „Nick – wir müssen da zusammen durch. Und wenn du nichts machst, reiße ich dir höchstpersönlich deinen Hohlkopf ab.“
    Wir trafen uns mehrmals wegen des Projekts Selbstjustiz. Und spielten zwischendurch auch ein paar Mal auf dem Basketballplatz, zusammen mit den anderen. Liv war so unwiderstehlich, es war einfach nur ätzend. Mateus durfte natürlich auf keinen Fall etwas wissen. Ich hatte ihm damals mehr als deutlich gemacht, wie daneben ich es fand, dass er sie – Jonathans Freundin – gevögelt hatte. Und jetzt träumte ich davon, dasselbe zu tun. Oder noch schlimmer: Einfach nur sanft ihren Nacken zu kraulen. Scheiße, Scheiße, Scheiße.
    Und jetzt befand ich mich ausgerechnet in der Wohnung von Livs Eltern, mit einem nassen Gesicht, kurz bevor am Esstisch Guten Appetit! gesagt wurde. Ich hätte mich verdünnisieren sollen. Nick zu sein – das bedeutet rumzuhängen, zu provozieren und anschließend die Beine in die Hand zu nehmen und um sein Leben zu rennen. Reihenweise Mädels abzuschleppen und immer da rüberzuspringen, wo der Zaun am niedrigsten ist. Liv strebte nach zu hohen Zielen, sie wollte zu viel. Ich wollte lediglich bestehen, sie dagegen brillieren. Noch dazu war es April, Frühling, und die sprießenden Pflanzen und schwellenden Knospen da draußen beeinflussten mich zusätzlich; auch meine Hosen waren kurz vorm Bersten.
    Ich riss mich zusammen, drückte ein paar Mal auf den Raumduft und trocknete mein Gesicht mit dem gestreiften Handtuch ab, das farblich zu dem Einblatt auf dem Schemel neben der Toilette passte. Dann ging ich aus dem Badezimmer und ließ mich lächelnd am Tisch nieder.
    Vorspeise: Topinambursuppe. Mein Körper ernährt sich hauptsächlich von Äpfeln, Möhren, Roggenbrot und Haferflocken mit fettreduzierter Milch. Topinambur mag er auch gern. Die Suppe war cremig und lecker, das Gespräch plätscherte unangestrengt dahin. Livs Mutter war überraschend klein – und knackig, megagut in Form. Sie war eine von denen, die sich gut vor einer Skihütte in Norwegen machten, während sich die alpine Sonne in ihrer Brille spiegelte.
    „Selbstjustiz. Das ist aber interessant! Und was denkt ihr über das Thema?“, fragte sie und kniff die Augen genauso zusammen, wie Liv es immer tat. Ich beschränkte mich auf ein „mmmh“, weil die Suppe hervorragend schmeckte und ich keine Ahnung hatte, was ich sagen sollte.
    „Es spricht einiges dafür, dass die Selbstjustiz in Zukunft zunehmen wird“, antwortete Liv schließlich. „Die Polizeireformen und Einsparungen haben ja zu einer Situation geführt, in der …“ Ihre Worte erstarben, als sie von ihrer Mutter unterbrochen wurde, deren Stimme schneidend und eindringlich war. Wie eine scharfe Präzisionswaffe, mit der man eine Fliege auf hundert Meter Entfernung abknallen konnte.
    „Ja, was du sagen willst, ist, dass der lange Arm des Gesetzes nicht bis in alle Ecken gelangt. Gegen jene Art der Kriminalität, die den Bürgern Angst bereitet – Terror, Bandenkriminalität, Einbrüche – kann die Polizei nicht so viel ausrichten. Und ob die Verbrechen aufgeklärt werden, hängt auch von der Beteiligung der Bevölkerung ab. Vielleicht kann die Einbeziehung der Bürger in die Polizeiarbeit ja tatsächlich Positives bewirken.“
    Liv verdrehte die Augen. „Aber damit schaffen wir doch unsere Gesellschaft ab!“
    Plötzlich drehte sich Livs Mutter zu mir um und starrte mich an. Ich versuchte, mir schnell noch einen Löffel Suppe in den Mund zu schieben.
    „Was denkst du

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