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Dann fressen ihn die Raben

Dann fressen ihn die Raben

Titel: Dann fressen ihn die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Meinke
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AUF DEINEN BESUCH! SCATER REPUBLIK
    „Verdammt, die ist von meiner Mutter!“, rief ich und schwenkte mein Handy. „Die ist krank. Schulter ausgerenkt.“ Ich schob meinen Stuhl zurück und zeigte demonstrativ auf meine Schulter. „Ich muss nach Hause. Schade, das Essen war so lecker!“
    „Danke“, sagte Frederik beleidigt. Liv kam anscheinend mehr nach ihrer Mutter.
    Draußen im Flur nahm ich meinen Pullover von der Garderobe, ein riesiges Wollungetüm, das mir mein Vater mal auf den Orkneyinseln gekauft hatte. Ich schwang meine Tasche auf den Rücken und wandte mich zum Gehen.
    „Bis bald, Nick“, sagte Liv. „Es tut mir leid, also …“
    „Nein, mir tut es leid“, antwortete ich.
    „Sie sind immer so furchtbar aufdringlich.“
    „Ach, drauf gepfiffen.“
    „Sehen wir uns morgen?“
    „Natürlich.“ Was natürlich gar nicht so natürlich war, denn meine Fehlzeiten waren längst im tiefroten Bereich. Aber ich hatte eine Einladung zu einem ernsten Gespräch mit dem Rektor in meiner Tasche, weshalb es unklug gewesen wäre, nicht zu kommen. Sie war ziemlich früh ins Haus geflattert. Ich hatte gehofft, sie wenigstens bis zum nächsten Jahr aufschieben zu können. In der Tür warf ich einen Blick zurück auf Liv, die mir hinterhersah. Ich schluckte und beeilte mich, auf die Straße rauszukommen.
    Draußen war es arschkalt und windig. Richtiges Herbstwetter, aber wir hatten ja trotzdem April, und die Alleebäume mit ihren halb aufgesprungenen Knospen trugen schon einen grünen Schimmer. Es war erst 20 Uhr und noch hell, und der Gedanke, jetzt nach Hause zu gehen, nach Hause zu meiner zickigen Schwester, meiner gefühlsduseligen Mutter und ihrem bescheuerten Freund Henrik … dieser Gedanke war gerade nicht auszuhalten. Also rief ich stattdessen Mateus an.
    „Hi, hier ist Nick. Was geht? Hast du Lust, irgendwas zu unternehmen?“
    „Was denn?“, fragte er. Aber ich hörte gleich, dass ich nicht mit ihm rechnen konnte.
    „Keine Ahnung. Irgendwas halt.“
    „Aber ich sitze hier gerade und arbeite an unserem Projekt.“
    „Das Projekt von dir und Cecilie?“
    „Jepp.“
    „Okay.“
    „Also …“
    „Na gut, dann sehen wir uns morgen“, brummelte ich und legte auf. Mateus erwähnte es zum Glück nicht so oft – dass wir irgendwie noch satte 40 000 Kronen zusammenkratzen mussten. Das Geld, das die beiden Dealer Borste und Afro, auf die Ikarus Mateus und mich angesetzt hatte, als Strafe dafür verlangt hatten, dass wir sie bei der Polizei angeschwärzt hatten. Aber diese Sache stand zwischen mir und Mateus. Bisher hatte ich im Grunde genommen so gut wie nichts abgezahlt. Dabei hatte er 15 000 davon sogar selbst vorgestreckt. Im Winter hatte ich ihm einen Fünfhunderter gegeben. Ich hatte eine Erstausgabe von Klaus Rifbjergs „Unschuld“ verkauft, die eine Widmung für meinen Großvater enthielt. Davon abgesehen hatte Mateus keinen Pfennig gesehen. Verdammt, ich musste dringend an etwas anderes denken. Und dann tauchte ausgerechnet Henriks Visage vor meinem inneren Auge auf. Sein strohblondes Haar und sein Bart. Ein Schnauzer! Den er mit einer Schere stutzte und dessen Borsten sich beim Essen tief in seine Käsebrötchen bohrten.
    Ich überlegte, ob ich zum Kastellet gehen sollte. Aber ohne Mateus war das nur halb so lustig. Also beschloss ich stattdessen, Tobias einen Besuch abzustatten, und wurde sofort von dem summenden Türöffner reingelassen. Als Mateus uns damals einander vorgestellt hatte, hatten wir uns auf Anhieb gut verstanden. Seitdem schaute ich ab und zu bei ihm vorbei – mit oder ohne Mateus.
    Wie immer war seine Wohnung ein einziges Chaos. Ich hatte das Gefühl, dass ich in Tobias die Fortsetzung meines eigenen Lebens sehen konnte. Dass auch ich in zehn, fünfzehn Jahren so ein substanzloses Messieleben führen würde. Die Wohnung hatte vermutlich zwei Zimmer, aber im Schlafzimmer bin ich nie gewesen. Im Wohnzimmer reihten sich in zwei Regalwänden Bücher, Zeitschriften und Comics aneinander. Die Bücher waren fast alle farblos und trugen Titel wie „The Structure of Scientific Revolution“, „Madness and Civilisation“, „Art and Mythology“ und solche Sachen. An den beiden anderen Wänden standen DVDs und alte Videokassetten. Und mittendrin saß Tobias in einem alten, grünen Plüschsessel. Vor ihm thronte ein großer Aschenbecher aus grönländischem Marmor, der perfekt zu dem Sessel passte. Als ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen ließ, musste ich plötzlich an

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