Danse Macabre
Siebtel Zoll
täglich, etwa dreißig Zentimeter pro Jahreszeit. Wie Matheson andeutet, was spielt es schon für eine Rolle, so lange uns
klar ist, daß es sich nicht um Hard Science Fiction handelt
und keine Ähnlichkeit mit Romanen und Geschichten von
Autoren wie Arthur C. Clarke, Isaac Asimov oder Larry
Niven beabsichtigt wurde? Es ist auch nicht besonders einleuchtend, daß die Kinder in der Geschichte von C. S. Lewis
eine andere Welt erreichen, indem sie durch die Tür des
Schlafzimmerschrankes gehen, aber genau das geschieht in
den »Narnia«-Büchern. Wir interessieren uns nicht für die
technische Seite des Schrumpfens, und die Zoll-pro-WocheRate des Schrumpf ens ermöglicht es uns immerhin, unseren
eigenen geistigen Maßstab an Scott Carey anzulegen.
Wir bekommen Scotts Abenteuer während seines
Schrumpfungsprozesses in Rückblenden präsentiert; der
größte Teil der Handlung spielt sich in der Woche ab, die Scott
für die letzte seines Lebens hält, während er von einem Zoll
zum Nichts schrumpft. Er wurde in seinem Keller gefangen,
während er versuchte, seiner Katze und einem Sperling zu
entkommen. Scotts verzweifeltes Duell mit Pussy hat etwas
besonders Grauenerregendes an sich; hat irgend jemand den
leisesten Zweifel daran, was passieren würde, sollten wir jemals durch einen bösen Zauber zu einer Größe von zwanzig
Zentimetern schrumpfen und unsere Katze, die am Kamin
schläft, würde aufwachen und uns über den Fußboden hasten
sehen? Katzen, diese amoralischen Revolvermänner der Tierwelt, sind wahrscheinlich die furchteinflößendsten Säugetiere. Ich möchte in einer solchen Situation nicht gegen eine
antreten müssen.
Mehr als alles andere aber gelingt Matheson die Schilderung eines einsamen Mannes im verzweifelten Kampf gegen
eine Kraft oder Kräfte, die größer sind als er. Hier erleben
wir das Ende von Scotts Kampf mit dem Vogel, der ihn in sein
Gefängnis im Keller bringt:
Hastig stand er auf und bewarf den Sperling mit Schnee,
der von dem dunklen, geöffneten Schnabel abprallte …
Der Vogel flatterte hoch. Scott kämpfte sich ein paar
Schritte weiter, da war der Sperling bereits wieder bei ihm,
und die nassen Flügel schlugen auf seinen Kopf. Wild hieb
er danach und spürte, wie seine Hände die harten Seiten
des Schnabels trafen. Er flog wieder weg. (…)
Kalt und naß blieb er schließlich mit dem Rücken zum Kellerfenster stehen und bewarf den Sperling verzweifelt mit
Schnee, in der Hoffnung, der Vogel würde endlich aufgeben, damit er nicht in den Keller zu springen brauchte, in
dem er dann gefangen wäre.
Aber der Vogel tauchte immer wieder herunter und flatterte vor ihm. Seine Flügelschläge klangen wie windgepeitschte Bettücher auf der Wäscheleine. Plötzlich hämmerte der Schnabel auf seinen Kopf, riß die Haut auf und
stieß ihn rückwärts gegen das Haus. (…) Er hob Schnee
auf, warf ihn, doch er traf nicht. Die Flügel schlugen gegen
sein Gesicht, und der Schnabel riß ein zweites Mal die
Kopfhaut auf.
Mit einem schrillen Schrei wirbelte Scott herum und sprang
zum zerbrochenen Kellerfenster. Schwindelerfüllt kroch er
über den Sims. Da stürzte der Vogel sich auf ihn, und er fiel
hinunter.*
Als der Vogel Scott in den Keller stößt, ist der Mann zwanzig
Zentimeter groß. Matheson hat deutlich gemacht, daß der
Roman größtenteils ein simpler Vergleich zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos ist, und die sieben Wochen, die
sein Held in dieser Unterwelt verbringt, sind eine winzige
Kapsel voller Erfahrungen, die er bereits in der größerenWelt
gemacht hat. Als er in den Keller fällt, ist er der König, er
kann seine menschliche Überlegenheit mühelos gegenüber
der Umwelt durchsetzen. Doch je weiter er schrumpft, desto
stärker gerät seine Macht wieder ins Wanken … und die Nemesis erscheint.
Auf ihren seltsam wackligen Stelzenbeinen stürzte die
Spinne über den schattigen Sand auf ihn zu. Ihr Leib war
ein riesiges glänzendschwarzes Ei, das bei ihrem Ansturm
über die windstillen Hügel schwankte. Hinter sich ließ sie
Dutzende von Rillen zurück, in die Sandkörnchen hineinsickerten. (…) daß die Spinne immer näher kam. Ihr pulsierender Ei-Körper kauerte auf den eilenden Beinen - ein
Ei, dessen Dotter in tödlichem Gift schwamm. Weiter hastete er, atemlos, Angst in den Knochen.
Nach Mathesons Meinung sind Makrokosmos und Mikrokosmos Ausdrücke, die letztendlich austauschbar sind, und
Scotts sämtliche Probleme während des Schrumpfungsprozesses werden in der
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