Dante Valentine 02 - Hoellenritt
erschießen, entsorgen. Genspleißen hassen Ludder schon aus Prinzip, aber Psione hassen sie mit einer atavistischen Abscheu, die so irrational wie tief verwurzelt ist. Dass wir von Geburt an so sind, spielt keine Rolle, für sie sind wir ein Gräuel und gehören allesamt umgebracht.
„Hetz mich nicht, Gabe. Das würde ich dir echt nicht empfehlen.“ Ich klang genervt.
„Dann bring es endlich hinter dich, damit du wieder nach Hause gehen und dich volllaufen lassen kannst.“ Sie klang genauso genervt, also waren wir wohl quitt.
Als ob mir Trinken auch nur im Geringsten helfen würde. Ich werde ja nicht mal mehr betrunken. Meine Finger griffen nach dem kalten Reißverschluss, dann zog ich ihn herunter.
Wenigstens hatten sie die Teile dahin gelegt, wo sie hingehörten. Ich fragte mich, was wohl fehlte – ich hatte mir den vorläufigen Bericht noch nicht angesehen. Der Gestank des Todes schlug mir entgegen und beleidigte meine empfindliche Nase.
So ausgeprägte sensorische Empfindungen waren manchmal ein Fluch. Kein Wunder, dass Dämonen ihren persönlichen Duft wie einen Schutzschild mit sich tragen. Ich wünschte, ich könnte das auch. „Christabel“, sagte ich. „Sekhmet sa’es.“
Die Luft flirrte unruhig. Hier drin gab es keinen Staub, aber ich konnte spüren, wie die Psinergie – meine eigene – die Luft erzittern ließ wie die Oberfläche eines ruhigen Teiches, der von einem Gleiterfeld aufgewirbelt wird. Allerdings erbebte sie mehr als dass sie erzitterte, und nahe an der Grenze – es fehlte nicht viel und sie würde sich meiner Kontrolle entziehen und ins Chaos stürzen.
Das ist seltsam.
Ich machte einen Schritt nach hinten. Mehr als ihr zerstörtes, verwesendes Gesicht musste ich mir nicht antun. Ich zog mich zur anderen Seite des Raumes zurück und schluckte. Mit einem Fingerschnipsen entzündete ich im Vorbeigehen die Kerzen auf dem Rollwagen. Früher hatte mir das immer Mordsspaß gemacht. Vor Japhrimel. „Mach das Licht aus, Gabe.“
„Okay.“ Drei Viertel der Neonröhren erloschen. Die restlichen summten gleichmäßig und entnervend weiter. Der Raum war besser beleuchtet, als es das Lagerhaus gewesen war. Kurz fragte ich mich, wo Bulgarov jetzt wohl war, ob sie ihn schon vor Gericht gestellt und in die Gaskammer gebracht hatten. Nein, dafür war es noch zu früh. Glücklicherweise musste ich nicht als Zeugin auftreten, ich hatte ihn nur gefangen genommen.
Hör auf rumzugrübeln, Danny. Die Jagd ist vorbei. Konzentrier dich auf das, was vor dir liegt.
Ich hielt das Messer hoch, sodass der glitzernde Stahl eine Barriere zwischen mir und dem bildete, was als Nächstes passieren mochte. „Ob das was wird?“, murmelte ich. „Dante Valentine, zugelassene Nekromantin, bringt die Leiche von Christabel Moorcock, ebenfalls zugelassene Nekromantin, als Erscheinung zurück.“ Und ich hoffe wirklich, dass sie uns was zu sagen hat.
„Alles klar“, antwortete Gabe. „Kann losgehen.“
Ich seufzte und schloss die Augen. Jetzt gab es nichts mehr, womit ich mich hätte ablenken können.
Es war einfach, fast schon zu einfach. Ich begab mich auf eine tiefere Bewusstseinsebene, hinein in jenes blaue Glühen, in dem irgendeine Mischung aus Begabung und genetischer Veranlagung mir erlaubt, die Toten zu sehen. Ich berührte die Leiche nicht – den Gedanken, die Hand auf das Plastik zu legen, konnte ich nicht ertragen –, also rechnete ich damit, dass es eine Zeitverschiebung geben würde, irgendeine Schwierigkeit, eine Barriere zwischen mir und den blauen Kristallwänden im Vorzimmer des Todes.
Aber ich hatte mich geirrt.
Oh Götter, das fühlt sich gut an. Mein Kopf neigte sich nach hinten, und mein langes, offenes Haar wurde mir vom Wind, der eigentlich kein Wind war, aus dem Gesicht geweht. Aus dem tiefsten Inneren meines Körpers stieg Gesang auf, dessen hohe Töne das Raue in meiner Stimme besonders zur Geltung brachten. Psinergie erfüllte die Worte, fast noch bevor ich sie aussprach. „Agara tetara eidoeae nolos, sempris quieris tekos mael…“
So weit, so gut, dachte ich benommen, und dann wurde ich ganz hineingesogen.
Blaues, kristallenes Licht stieg um mich herum auf. Meine Ringe sprühten Funken, meine linke Schulter verzog sich vor Schmerz. Auf der Welle der Psinergie reitend griff ich durch Zeit und Stahl und vibrierende Luft, während die kristallenen Wände sangen. Auf der Zunge spürte ich den bitteren Geschmack von zersplitterten Knochen und verwesendem Fleisch.
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