Dante Valentine 02 - Hoellenritt
Christabels Körper war nicht mehr als eine leere Hülle, in dem zerfallenden Fleisch fand sich kein Lebensfunke mehr, nicht mal die Biolumineszenz von Nerven, die erst Stunden oder Tage nach Eintritt des Todes absterben. Der kalte Hauch des Todes, der einem die Glieder steif werden lässt, wanderte mit kleinen, prickelnden Füßchen meine Finger hinauf und spielte schon mit meinen Zehen.
Ich öffnete die Augen.
Der Anblick war so vertraut, dass ich hätte weinen können. Der Gesang floss volltönend aus mir heraus und strich über die blauen Kristallwände, die sich bis in die Ewigkeit erstreckten. Ich trug das weiße Kleid der von Gott Auserwählten, zusammengehalten von einem Silbergürtel, der mit seinen durchbrochenen Schlingen, die den Ringen eines Kettenhemdes ähnelten, an mir herabhing. Meine nackten Füße ruhten auf der Brücke über dem endlosen Abgrund; ein silberner Strom von Seelen wirbelte an mir vorbei, über die Brücke gezogen vom unaufhaltsamen Gesetz der Erneuerung durch den Tod. Während ich über die Brücke ging, gab der Smaragd an meiner Wange ein gespenstisches Glühen von sich, das mich umhüllte wie ein Kokon, mich sicher auf der Brücke hielt und dafür sorgte, dass ich nicht in den Brunnen der Seelen geschleudert wurde. Unter mir gähnte der Abgrund, und die Brücke zitterte wie die Saite einer Harfe. Mir blieb keine Zeit, um nachzusehen, ob dort vielleicht eine Dämonenseele auf mich wartete. Ich hatte Angst gehabt, er könne hier, an mich gefesselt, in den Sälen des Todes lauern. Ich hatte Angst gehabt, dass er nicht hier sein würde – dass der menschliche Tod keinen Platz bot für die Seele eines Dämons.
Wie hatte mich meine Feigheit nur so lange von dem Wesen fernhalten können, das ich am meisten liebte, von dem einzigen Ort, an dem ich mich völlig sicher fühlte?
Langsam hob ich den Kopf. Ich konnte nicht hinsehen, wollte nicht hinsehen.
Und musste doch hinsehen.
Der schlanke Hundekopf, die Inkarnation des Todesgottes, glänzte schwarz. Er betrachtete mich so, wie er es immer getan hatte, seit ich mich das erste Mal bedingungslos dem blauen Glühen ergeben hatte. Er saß auf der anderen Seite der Brücke, und Sein hundeähnliches Aussehen war nur eine Maske, die Sein wahres Aussehen verdeckte – die gnädige Maske, die es mir erlaubte, das Reich des Todes zu betreten und dem unendlichen Schrecken des Lebensendes ins Auge zu blicken. Sogar mich als Nekromantin ängstigt die Berührung durch den Tod – kein endliches menschliches Wesen sieht sich gern mit der Unendlichkeit konfrontiert. Und dennoch liegen Schrecken und uneingeschränktes Angenommensein ganz dicht beieinander. Wenn der Tod einen berührt, fühlt es sich kühl und barmherzig an, Lasten fallen von einem ab, Schmerz verebbt, jegliche Verpflichtung und Erinnerung werden fort gespült.
Oh, und wie ich mich nach dieser Leichtigkeit sehnte, selbst dann noch, wenn ich wie alles Lebende dagegen ankämpfte und mich an ein Leben klammerte, das zwar voller Leid, aber vertraut war. Tiefes Leid kannte ich, nicht aber das Geheimnis, das der Tod jedem sterblichen Wesen früher oder später zuflüstert.
Mitten in meinem Gesang stieß ich ein trockenes, bellendes Schluchzen aus. Psinergie schwoll an, breitete sich über mir aus, und der Gott griff in mich hinein. Der Platz in meinem Inneren, an dem Er lebte, blühte auf wie eine schmerzhaft verzückte Blume, und einmal mehr wurde ich zu der Brücke, über die der Gott eine Seele aus dem Reich des Todes herüberschickt.
Der Druck gegen meine Kehle, meine Augen und die Gelenke in meinen Beinen wuchs wie ein herbes Vergnügen. Mein Kopf bog sich nach hinten, und ein unterschwelliges Knacksen hallte trocken von den gefliesten Wänden wider. Kälte und Taubheit breiteten sich in meinen Fingern aus und krochen mir die Arme hinauf. „Stell… deine… Fragen“, sagte ich leise, während das intensive Glücksgefühl, das sich meiner bemächtigte, die Kälte bekämpfte. Ich hatte es geschafft. Wieder einmal.
Es knisterte in der Gegensprechanlage, dann war Gabes knisternde, raue Stimme zu hören. Christabel Moorcocks Geist stöhnte auf. Ihre Stimme war fast tonlos – natürlich sprechen die Toten nicht so wie wir. In der Stimme einer Erscheinung hört man nur jene Endgültigkeit, die den Schlusspunkt unter das Leben setzt. Je länger eine Leiche im Grab lag, desto tonloser ist ihre Stimme. Ich habe schon erlebt, dass Menschen schrien oder in Ohnmacht fielen, sobald eine
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