Dante Valentine 02 - Hoellenritt
sagte ich mir zum mittlerweile fünften Mal, lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und richtete den Blick auf die Flasche mit dem Brandy. Gabe hatte uns allen einen Schluck zur Beruhigung angeboten, und ich hatte dankend angenommen, obwohl es genauso gut Wasser hätte sein können. Jace hatte sich tatsächlich drei enorme Schlucke gegönnt, bevor er den Verschluss wieder auf die Flasche geschraubt und sie Gabe zurückgegeben hatte. „Zumindest sind wir jetzt schlauer.“
Jace griff vorsichtig nach dem Plastikbecher und nahm einen großen Schluck von seinem Kaffee. „Inwiefern?“ Er klang nur mäßig interessiert. Sein Gesicht war starr und blass, seine blutunterlaufenen Augen blitzten zornig. Seine Wangen glühten fiebrig, und die Knochen an seinem Stab klapperten unruhig.
Offensichtlich hatte ich den beiden einen ordentlichen Schreck eingejagt. Wenn die Erleichterung und die irre Freude darüber, mich endlich wieder über die Grenzen des Totenreichs gewagt zu haben, erst einmal nachließen, würde sich wohl auch bei mir die Angst einstellen. Jetzt, in diesem Moment, fehlte mir dazu allerdings der gesunde Menschenverstand – oder die guten Manieren. So seltsam das auch war, ich fühlte mich, als hätte ich gerade einen Sieg davongetragen.
Es gibt nur sehr wenige Dinge, die eine Geistererscheinung in einen gierigen und rachsüchtigen Geist verwandeln können. Meistens handelt es sich dabei um seelenzerfressende Folter vor dem eigentlichen Tod. Ganz oben auf der Liste stehen Völkermord und Ritualmorde, die man auch als „schwarze Magik“ kennt: Psinergie, gewonnen durch das Foltern und Töten eines empfindungsfähigen Wesens. Ein weiterer Spitzenreiter ist der Angriff und die Infizierung durch einen Schmarotzer – das ist so etwas wie ein Vampir, der es auf die Psyche abgesehen hat. Wenn Psinergie von der Bevölkerung derart selbstverständlich und regelmäßig angewandt wird, scheint es naheliegend, dass es bei einigen Leuten zu einem krankhaften Zwang wird, die Psinergie ihrer Umgebung aufzusaugen und sich etwas von der Lebensenergie ihrer Mitmenschen abzuzweigen. Sie schmarotzen in immer höheren Dosen von der Magik oder Psinergie anderer, bis sie so weit sind, dass sie einen Normalo innerhalb von Sekunden und einen Psion in wenigen Minuten völlig aussaugen und ihm sämtliche Lebensenergie rauben können. Die meisten Schmarotzer werden schon als Kinder diagnostiziert und behandelt, und dank dieses frühzeitigen Eingreifens können sie später ein ganz normales Leben als Psion führen. Wenn ein älterer Psion auf einmal das Krankheitsbild eines Schmarotzers entwickelt, ist eine rechtzeitige Behandlung ebenfalls der Schlüssel zur Lösung.
Aber Schmarotzer zerfleischen ihre Beute nicht. Zumindest nicht körperlich.
Für mich sah die Sache nach Ritualmord aus, aber noch konnte man nichts Genaues sagen. Was auch immer passiert war, Christabel Moorcock hatte jedenfalls etwas so Grauenhaftes erlebt, dass selbst ihr Geist noch unter dem Widerhall der Tat litt und völlig wahnsinnig war.
„Na ja.“ Ich legte die Füße auf Gabes Schreibtischplatte, fischte mir einen Fliesensplitter aus den Haaren und warf ihn in ihren überquellenden Papierkorb. „Wir wissen jetzt, dass wir es mit einer richtig üblen Sache zu tun haben. Das ist immerhin etwas. Angenommen, es war ein Ritualmord – was meine erste Vermutung wäre – , dann können wir weiter davon ausgehen, dass, was auch immer ihr angetan wurde, noch über ihren Tod hinaus zu spüren ist. Damit hätten wir den Typus von Magik, nach dem wir suchen, schon mal eingegrenzt. Außerdem ist klar, dass hier jemand äußerst entschlossen vorgeht; dazu war eine Menge Zeit und Vorbereitung nötig. Der Täter muss also Spuren hinterlassen haben. Niemand bekommt so aufwendige Magik hin, ohne wenigstens einen kleinen Fehler zu machen. Das ist mir während der Jagd nach flüchtigen Verbrechern klar geworden.“ Ich vermied es absichtlich, Jace anzusehen, obwohl meine Worte indirekt an ihn gerichtet waren. Schließlich war er mein Tutor gewesen. Bei ihm hatte ich in einem Jahr mehr über Kopfgeldjagden gelernt, als ich mir allein in fünf hätte aneignen können.
„Fantastisch.“ Gabe hörte endlich auf, an ihrem Nacken herumzudrücken, und legte die Unterarme auf den Schreibtisch. Die weißen Ringe um ihre Augen verblassten allmählich. Der Geruch von Pizza stieg mir in die Nase – jemand hatte wohl beschlossen, rasch etwas zu essen. Dabei fiel mir wieder ein, dass
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