Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen
ganze Welt ist. Ich sehe den Obstgarten, zugewachsen mit jungen Apfelbäumen, die vor sich hin wuchern und immer mehr von der Welt verdecken. Die Bäume hat Vater gepflanzt. Vor gar nicht langer Zeit. Mitte der Achtziger.
Das ist nicht lange her, auch wenn fast zwanzig Jahre vergangen sind. Der Obstgarten hat den Ausblick hier enorm verändert. Vom Haus aus sieht man die Gleise kaum noch. Von den Gleisen, vom Zug aus sieht man nur noch das Dach des Hauses. Und ich sehe Silhouetten. Ich sehe das, was man Gespenster nennen könnte.
In Anbetracht dessen, was man von der Haustür aus sieht, und im Wissen, was sich hier abgespielt hat, stelle ich mir manchmal vor, wie sich die Menschen auf diesem Fleckchen Land bewegt haben.
Die Schienen jenseits des Obstgartens wurden vor langer Zeit von den Italienern verlegt. Aus irgendeinem Grund war man der Ansicht gewesen, daß gerade sie am besten für den Bau einer Gleisanlage in bergigem Gelände geeignet seien; ihre Bauingenieure suchten nach jeder brauchbaren Biegung zwischen den Bergen und Schluchten, um die Schienen von Stanislau nach Rachiw verlegen zu können. Die Arbeiter werden wohl zu den Häusern, den Brunnen gekommen sein. Die Arbeiter werden wohl auf Italienisch um Wasser gebeten haben. Auch mußten sie ihre Freizeit irgendwie verbringen. Angeblich waren es die Italiener, die verschiedene Geschlechtskrankheiten in unsere Berge eingeschleppt haben. Die Italiener wußten, wie man Tunnel baut. Die von ihnen verlegten Gleise veränderten den Klang unseres Berges für immer. Wenn ein Zug vorbeifährt, bebt unser Häuschen regelrecht. Besonders spürt man das in der Nacht. Einmal sprang ein Funke von einer Dampflok auf eine Schindel des alten Familienhauses über. Den Platz, an dem es gestanden hat, sehe ich auch. Das Haus brannte ab, ganz ohne Krieg.
Die Kriege, zumindest die beiden Weltkriege, fanden praktisch vor unserer Haustür statt. Im Wald rechts befand sich ein Schanzwerk, das von der heute so bezeichnetenBrussilow-Offensive 22 berannt wurde. Außerdem sehe ich eine Brücke, an jener Stelle erbaut, wo seinerzeit dieKowpak-Partisanen 23 eine Brücke in die Luft jagten, bevor sie in den eigentlichen Kampf zogen, in dem sie vernichtend geschlagen wurden. Ich kann mir vorstellen, was sich während all dieser Weltkriege auf unserem Boden zugetragen hat. Im Gemüsegarten kamen bis Anfang der Achtziger jeden Frühling Patronenhülsen zum Vorschein, abgefeuert aus verschiedenen Waffen. Vor vierzig und vor siebzig Jahren.
Noch ehe das alte Haus wegen des Funkens abbrannte, fanden auf diesem Boden riesige Versammlungen der Radikalen Partei statt. Eine davon wurde in der Zeitung Dilo als die größte der Gegend beschrieben,Lahodynskyj 24 , Schekeryk-Donykiw, Marko Tscheremschyna und der damalige Herr dieses Grund und Bodens traten auf.
Da die Brücke später in die Luft gejagt wurde, gab es ein paar Jahre auf beiden Seiten der gigantischen Schlucht, die ich von hier aus auch sehe, provisorische Stationen. Der eine Zug fuhr bis an den Abgrund heran, die Passagiere gingen auf Pfaden hinunter, über den Fluß und stiegen auf der anderen Seite in den Zug, der bis nach Rachiw fuhr. Später wurde natürlich eine neue Brücke gebaut, die Überreste des alten Viadukts bilden ein schönes Becken im Fluß. Links sehe ich die bewaldeten Hügel, zwischen denen der Fluß herausfließt, und rechts das rechte Steilufer des Prath, in den er mündet. Abgesehen vom Pruth-Tal sehe ich auf dieser Seite noch die Ausläufer der Pokuttja-Kosiw-Karpaten, ich sehe den Bergkamm, hinter dem sich Kolomyja, Jabluniw und andere interessante Orte verbergen.
Vor mir liegt eine Bergkette, sie ist die offizielle Grenze zum Huzulenland. Jenseits dieser Bergkette sind bei gutem Wetter malerische Hügel zu sehen, die Ausläufer des Berglandes, und ein hoher Berg, auf dem sich irgendwann vor langer Zeit ein gigantischer heidnischer Tempel befunden hat und an dem die alte Straße endete, auf der Händler aus dem fernen Europa kamen, um Feuerstein zu kaufen. Rechts jedoch, dort, wo sich die Brücke und die Reste des Schanzwerks befinden, sieht man lediglich den Eingang zu denGorgany 25 . Den Anfang dieses steinigen, zerklüfteten Waldes, der auf der anderen Seite bis Mukatschewo reicht. Vor zwanzig Jahren stiegen noch irgendwo aus diesem Wald Jagdflugzeuge auf, sie bewachten einen jener geheimen Stützpunkte, auf dem strategische Raketen stationiert waren, von denen nur ihre Besitzer und die Analytiker des
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