Darf's ein Küsschen mehr sein?
noch.«
Sie schaute ihm nach, wie er ging, ohne dass sie ihm den Grund gesagt hatte, warum sie in der Stadt war und in seiner Kneipe saß. Dies war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort, aber irgendwann musste es sein. Er wusste es noch nicht, aber Mick Hennessy würde sie noch oft zu Gesicht bekommen. Und beim nächsten Mal wäre er vielleicht nicht so freundlich.
Der Lärm und der Gestank in der Bar wurden ihr zu viel, und sie schlang ihre Handtasche über die Schulter, rutschte vom Barhocker und bahnte sich einen Weg durch die schwach beleuchtete Menschenmenge. An der Tür warf sie noch einen Blick zurück zu Mick. Unter der Thekenbeleuchtung legte er den Kopf leicht in den Nacken und lächelte. Sie hielt inne, und ihr Griff um die Türklinke verstärkte sich, als er sich umdrehte und aus der Zapfanlage ein Bier zapfte.
Während sie dort stand und die Jukebox irgendwas mit Whiskey für Männer und Bier für Pferde dudelte, registrierte
sie seine dunklen Haare und seine breiten Schultern. Er drehte sich um und stellte das volle Glas auf die Theke. Während sie ihn beobachtete, lachte er über irgendwas, und bis zu diesem Moment hatte Maddie keine richtige Vorstellung von Mick Hennessy gehabt; mit einem so lebendigen und fröhlichen Mann hatte sie jedenfalls nicht gerechnet.
Durch die dunkle Bar und den Zigarettendunst landete sein Blick auf ihr. Sie konnte fast spüren, wie er quer durch den Raum schweifte und sie berührte, was natürlich reine Illusion war. Da sie im verdunkelten Eingang stand, war es fast unmöglich, sie in der Menschenmenge auszumachen. Sie öffnete die Tür und trat an die kühle Abendluft. Während ihres Kneipenbesuchs hatte sich die Nacht über Truly gesenkt wie ein schwerer schwarzer Vorhang und wurde nur gelegentlich von ein paar beleuchteten Ladenschildern und einer Straßenlaterne erhellt.
Ihr schwarzer Mercedes parkte auf der anderen Straßenseite vor »Tinas Herrenunterwäsche« und der »Rock Hound Kunstgalerie«. Sie ließ einen gelben Hummer vorbeifahren, bevor sie aus dem Schein des Neonschilds über dem Mort’s auf die Straße trat.
Als sie sich dem Wagen näherte, öffnete sie ihre Handtasche, griff in das kühle Lederinterieur, zog den Transponderschlüssel heraus und entriegelte damit die Fahrertür. Normalerweise war sie nicht materialistisch eingestellt. Sie machte sich nichts aus Klamotten oder Schuhen. Da ihre Unterwäsche in letzter Zeit sowieso niemand mehr zu Gesicht bekam, war ihr gleichgültig, ob ihr BH zu ihrem Slip passte, und teuren Schmuck besaß sie auch nicht. Vor dem Mercedeskauf vor zwei Monaten hatte Maddie mit ihrem
Nissan Sentra über dreihundertzwanzigtausend Kilometer zurückgelegt. Sie hatte ein neues Fahrzeug gebraucht und sich gerade einen Volvo SUV angesehen, als sie sich umgedreht und den schwarzen Mercedes S 600 gesehen hatte. Die Showroom-Beleuchtung hatte auf den Wagen herabgestrahlt wie ein Fingerzeig Gottes, und sie hätte schwören können, eine Engelschar halleluja singen zu hören wie der Mormon Tabernacle Choir. Sollte sie etwa eine Botschaft des Herrn ignorieren? Und so fuhr sie den Wagen, nur wenige Stunden nachdem sie das Autohaus betreten hatte, aus dem Showroom in die Garage ihres Hauses in Boise.
Sie drückte auf den Startknopf der Gangschaltung und warf die Scheinwerfer an. Die CD in ihrer Stereoanlage erfüllte den Mercedes mit Warren Zevons Excitable Boy . Sie fuhr an und wendete mitten auf der Hauptstraße. Warren Zevons Texte hatten etwas Brillantes und zugleich Verstörendes. Als würde man in das Gehirn eines Menschen blicken, der auf der Grenzlinie zwischen Wahnsinn und Normalität stand und ab und zu eine Schuhspitze hinüberschob. Mit der Grenzlinie spielte, sie austestete und dann einen Rückzieher machte, kurz bevor er dem Wahnsinn anheimfiel. In Maddies Beruf gab es nicht viele, die noch rechtzeitig zurücktraten.
Die Mercedesscheinwerfer schnitten durch die tintenschwarze Nacht, als sie an der einzigen Verkehrsampel der Stadt nach links abbog. Ihr allererstes eigenes Auto war ein so ramponierter Volkswagen Rabbit gewesen, dass die Sitze mit Klebeband zusammengehalten werden mussten. Seitdem hatte sie es weit gebracht. Von dem Roundup-Wohnwagenplatz, auf dem sie mit ihrer Mutter gelebt hatte, und
dem engen kleinen Haus in Boise, wo sie bei ihrer Großtante Martha aufwuchs, war es ein weiter Weg gewesen.
Martha hatte bis zu ihrer Pensionierung als Verkäuferin im Rexall Drugstore gearbeitet, und die
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