Darf's ein Küsschen mehr sein?
später blicken ließ. Bevor sie zu viele Martinis intus hatte und vergaß, warum sie hier auf dem Barhocker saß und liebesbedürftige passiv-aggressive Tussis und größenwahnsinnige Kerle belauschte. Auch wenn Leute zu belauschen, deren Leben noch bedauernswerter war als ihr eigenes, manchmal höchst amüsant sein konnte.
Sie stellte ihr Glas wieder auf die Theke. Lauschen war nicht ihre erste Wahl. Normalerweise bevorzugte sie die direkte Herangehensweise: im Leben anderer herumzuwühlen
und ohne viel Federlesens ihre schmutzigen kleinen Geheimnisse zu ergründen. Manche Leute gaben ihre Geheimnisse widerstandslos preis und erzählten bereitwillig alles. Andere zwangen sie, tief zu graben, sie herauszuschütteln oder mit den Wurzeln auszureißen. Ihre Arbeit war manchmal schmutzig und immer hart, doch sie schrieb für ihr Leben gern über Serienkiller, Massenmörder und ganz normale, durchschnittliche Psychopathen.
Mit irgendwas musste man sich schließlich hervortun, und Maddie, die unter dem Pseudonym Madeline Dupree schrieb, war eine der besten True-Crime-Autorinnen. Sie schrieb über Morde und andere Blutbäder. Über Perverse und Gestörte, und es gab Menschen, darunter auch ihre Freundinnen, die glaubten, dass ihre Arbeit sie negativ beeinflusste. Sie fand eher, dass sie zu ihrem Charme beitrug.
Die Wahrheit lang irgendwo dazwischen. Was sie gesehen und worüber sie geschrieben hatte, beeinflusste sie sehr wohl. Ungeachtet der Barriere, die sie zwischen ihrer geistigen Gesundheit und den Menschen errichtete, die sie befragte und erforschte, sickerte deren Abartigkeit manchmal durch die Ritzen und hinterließ an ihr einen schwarzen, klebrigen Film, den man verdammt schlecht wieder abschrubben konnte.
Durch ihre Arbeit sah sie die Welt mit anderen Augen als diejenigen, die noch nie einem Serienmörder gegenübergesessen hatten, während er sich an der Nacherzählung seiner »Arbeit« aufgeilte. Doch genau diese Erlebnisse machten sie auch zu einer starken Frau, die sich von niemandem etwas bieten ließ. Sie ließ sich nur selten einschüchtern und machte sich über die Menschheit keinerlei Illusionen. Vom Kopf her
wusste sie, dass die meisten Menschen anständig waren. Dass sie, wenn sie die Wahl hatten, das Richtige taten, aber sie wusste auch von den anderen. Von den fünfzehn Prozent, die nur an ihrem eigenen selbstsüchtigen und abartigen Vergnügen interessiert waren. Dabei waren nur etwa zwei von diesen fünfzehn Prozent Serienmörder. Die anderen gesellschaftlich devianten Menschen waren ganz normale Vergewaltiger, Mörder, Schlägertypen und Firmenmanager, die heimlich die Altersvorsorgekonten ihrer Angestellten plünderten.
Aber wenn etwas so sicher war wie das Amen in der Kirche, dann, dass jeder seine Geheimnisse hatte. Sie selbst hatte auch ein paar. Sie ließ sich nur weniger in die Karten schauen als die meisten Menschen.
Sie führte ihr Glas an die Lippen, und ihre Aufmerksamkeit wurde auf den hinteren Teil der Bar gelenkt. Eine Tür ging auf, und ein Mann in einem schwarzen T-Shirt trat aus dem beleuchteten Gang in die dunkle Kneipe.
Maddie kannte ihn. Schon bevor er aus der Finsternis trat. Noch bevor die Dunkelheit über seine kräftige Brust und die breiten Schultern glitt. Bevor das Licht über sein Kinn und seine Nase schweifte und in seinem Haar leuchtete, das so schwarz war wie die Nacht, aus der er gekommen war.
Er trat hinter die Theke, schlang sich eine rote Barschürze um die Hüften und schnürte die Bänder über seinem Hosenstall zu. Sie hatte ihn nie getroffen. War noch nie mit ihm im selben Raum gewesen, aber sie wusste, dass er fünfunddreißig war, ein Jahr älter als sie. Dass er 1,88 Meter groß war und 86 Kilo wog. Er hatte zwölf Jahre in der Armee gedient, wo er Helikopter geflogen und Hellfire-Missiles hatte niederregnen lassen. Er war nach seinem Vater Lochlyn Michael
Hennessy benannt worden, wurde aber Mick gerufen. Wie sein Vater war er ein unverschämt gut aussehender Mann. So gut aussehend, dass er den Frauen die Köpfe verdrehte, ihren Herzschlag aussetzen ließ und sie auf unanständige Gedanken brachte. Auf Gedanken an heiße Küsse, geschickte Hände und verrutschte Klamotten. An den Hauch warmen Atems an ihrem gewölbten Hals und die Vereinigung von schwitzenden Körpern auf dem Autorücksitz.
Nicht, dass Maddie für solche Gedanken empfänglich wäre.
Er hatte eine ältere Schwester, Meg, und besaß hier in der Stadt zwei Kneipen: das Mort’s und
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