Darf’s einer mehr sein?
B eziehungen
Die Karriere des Hundes ist eine echte Erfolgsgeschichte: War er ursprünglich vorwiegend Müllentsorger und Fleischlieferant in schlechten Zeiten, hat er sich dank seiner vielfältigen Fähigkeiten und selektiver Zucht zum wertvollen Arbeitstier entwickelt. Ob als Helfer bei der Jagd, als Hüte-, Treib- oder Herdenschutzhund, als Wach- und Schutzhund oder in jüngerer Zeit auch als Blindenhund, Begleiter und Assistenzhund für Behinderte, als Drogenschnüffler, Rettungshund oder Therapiehund – die Liste seiner Jobs ist lang.
Doch nicht Supernase, Hütetalent oder sonstige Arbeitseigenschaften machen den wahren Erfolg aus. „Die Karriere eines Einschmeichlers“ betitelte der Spiegel 2003 einen Artikel über die Domestikation des Hundes, und wir schließen uns dem Begriff gern an. Dem Hund ist es gelungen, sich einen festen Platz in unserer Gesellschaft zu sichern, und zwar den eines Familienmitglieds. Dabei bringt er in den meisten Familien keinerlei Arbeitserleichterung, im Gegenteil, er verursacht eine Menge Aufwand. Um das Manko einer fehlenden Aufgabe auszugleichen, opfern seine Besitzer viel Zeit zur körperlichen und geistigen Auslastung ihres Vierbeiners. Sie investieren Geld in Futter, schicke Halsbänder und Körbchen, Tierarzt, Hundeschule, Steuern und Versicherung. Warum nur?
Den Hund als Kind zu betrachten ist eine gute Idee, um die Verantwortung für ihn intuitiv wahrzunehmen.
Vor „Vermenschlichung“ braucht man keine Angst zu haben, solange die individuellen Bedürfnisse des Hundes erfüllt werden.
Es hat wenig mit Logik zu tun, dass Menschen nicht nur einen Hund haben, sondern sogar verrückt genug sind, sich einen zweiten, dritten oder vierten anzuschaffen. Wir leben zurzeit mit zwei Jack Russell Terriern, zwei Border Collies und einem Sheltie zusammen, und wer das addiert, kommt auf fünf Hunde. Eine echte Patchworkfamilie und eindeutig zu viele Hunde, wie wir selbst finden, aber wir möchten keinen Einzelnen von ihnen missen. Denn jeder von ihnen scheint wie Millionen andere Hunde auch über diese ganz besondere Fähigkeit zu verfügen, sich in unser Herz zu schleichen. Hunde bauen wie selbstverständlich eine tiefe emotionale Beziehung zu uns auf, und genau deshalb lieben wir sie alle.
Es sind soziale Beziehungen, die unser Leben prägen und spannend machen. Beziehungen zu Menschen, aber eben auch Beziehungen zu Tieren. Zu verstehen, wie Beziehungen funktionieren, scheint den meisten Menschen ein großes Anliegen und spiegelt sich in der Masse an Ratgebern für Partnerschaft und Familie wieder. Was Hunde betrifft, musste die Dominanztheorie mit dem Modell der Rangordnung lange als universelle Interpretationshilfe für Hundeverhalten und Leitfaden für das eigene Auftreten herhalten. Zwar betrachten wir und viele andere Hundetrainer, Verhaltensforscher und Biologen diese als überholt, das Gedankengut sitzt aber immer noch tief. Der Wertewandel in der Hundewelt ist nach wie vor in vollem Gange und macht sich oft mehr an der Auswahl der Trainingsmethoden fest als an der kritischen Auseinandersetzung mit einem Beziehungsmodell.
Mensch – Hund
Unsere Sichtweise für die Beziehungen zwischen Mensch und Hund entspricht einem Eltern-Kind-Modell, mehrere Hunde in der Familie sehen wir als Geschwister. Damit liefern wir die perfekte Vorlage für folgende Kritik: Ist das nicht eine völlige Vermenschlichung? Aus mehreren Gründen können wir mit diesem Einwand gut leben:
Fasst man den Prozess der Domestikation des Wolfes in wenigen Sätzen zusammen, so hat sich der Hund entwickelt, indem Wölfe die Vorteile eines Lebens in der Nähe des Menschen für sich entdeckten, als dieser sesshaft wurde. Geringere Fluchttendenz gegenüber Menschen ermöglichte den Zugang zu deren Abfall und damit zu einer Nahrungsquelle, ohne große Anstrengungen. Die genetischen Konsequenzen daraus begründen den Erfolg des Hundes im Lebensraum „Menschenfamilie“: Das Gefahrenvermeidungsverhalten von Hundewelpen setzt deutlich später ein als das von Wolfswelpen, was ihre Anpassungsfähigkeit an verschiedenste Lebensbedingungen und Umweltreize erleichtert. Im Vergleich zum Wolf wird der Hund nie erwachsen, sein Verhalten entspricht zeitlebens dem Reifestadium, das der Wolf kurz vor dem Eintreten der Geschlechtsreife erreicht. Vielleicht am wichtigsten ist jedoch, dass der Hund wie kein anderes Tier gelernt hat, den Menschen zu verstehen, seine Gestik und Mimik zu lesen, seine
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