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Dark Desires: Im Bann der Unsterblichkeit

Dark Desires: Im Bann der Unsterblichkeit

Titel: Dark Desires: Im Bann der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Möller
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hatte. Weil er sich selbst zu gut kannte. Er quälte sich hoch, schaltete das Gerät aus und blieb eine Weile verschlafen sitzen. Durch die Lamellen der Jalousie stahl sich Tageslicht ins Zimmer und zeichnete helle Streifen auf den Kleiderschrank neben der Tür.
    Normalerweise wachte er auf, bevor der Wecker ansprang. Aber heute Nacht hatte er unruhig geschlafen. Es waren keine zusammenhängenden Träume gewesen, lediglich verwaschene Bilder von fremden Straßen und ein Gefühl der Beklemmung. Gegen sieben Uhr war er entnervt aufgestanden, hatte sich im Wohnzimmer aufs Sofa gelegt und auf einem der Nostalgiekanäle zwei Folgen einer alten Krimiserie angeschaut. Danach hatte er in der Küche das schmutzige Geschirr abgewaschen. Von den kreisenden Bewegungen mit der Spülbürste war er müde genug geworden, um wieder ins Bett zu gehen. Eindeutig ein Fehler, denn jetzt fühlte er sich wie gerädert.
    Jesse streckte sich und angelte nach dem ausgewaschenen T-Shirt, das zum Auslüften über einem Kleiderständer hing. Es war schwarz und mit dem verblassten Logo des Edinburgh Rugby Club bedruckt. Genau wie die lockere Sporthose, die daneben hing. Jesse unterzog beide Kleidungsstücke einem Geruchstest, befand sie für gut und schlüpfte hinein. Anschließend griff er nach dem breiten Silberring mit den verschnörkelten Linien, der vor dem Wecker auf dem Hocker lag. Der Ring war ein Geburtstagsgeschenk von seiner Mutter gewesen. Jesse ging nie ohne ihn aus dem Haus.
    Er streifte das Schmuckstück über den rechten Daumen und stand auf. Die alten Holzdielen fühlten sich kühl an unter seinen nackten Füßen. Mit zwei Schritten war er beim Fenster, vor dem ein kleiner, flauschiger Läufer lag. Er zog die Jalousie hoch und öffnete das Fenster. Der Rahmen war verzogen, deshalb ließ es sich nur zwei Handbreit nach oben schieben. Es reichte, um einen Hauch frischer Luft hereinzulassen. Und den Autolärm von der Grey Street. Weiter unten kreuzte die Fitzroy Street, eine der Hauptverkehrsadern des Stadtteils. Der Strom der Fahrzeuge riss tagsüber nie ab. Jesse stützte sich mit verschränkten Unterarmen aufs Fensterbrett und beobachtete das Treiben auf der Straße. In den Beinen spürte er leichten Muskelkater. Der Ausflug mit Nguyen und Thran gestern war toll gewesen. Sie waren auf Inlinern von Port Melbourne aus entlang der Küstenlinie bis nach Brighton gefahren, hatten in einem Strandcafé Eis und Kuchen gegessen und waren erst spät nach Melbourne zurückgekehrt. Den Abend hatten sie in Nguyens und Tobeys Wohnung bei Spaghetti Bolognese und einem Glas Rotwein gemütlich ausklingen lassen. Gegen zehn hatte Tobey angerufen. Nguyen war vollkommen aus dem Häuschen gewesen. Er hatte den Lautsprecher angestellt, damit jeder hören konnte, wie Tobey in seinem breiten australischen Akzent von seinem Tag erzählte. Jeder zweite Satz endete mit „Wish you were here, Babe“.
    Jesse beneidete die beiden.
     
    Im Strom der Passanten fiel ihm eine junge Frau auf, die zwei Stockwerke tiefer leicht bekleidet auf und ab ging. Für die anderen Leute schien sie unsichtbar zu sein. Entlang der Grey Street verlief der Straßenstrich von St. Kilda. Die Nutten standen sich rund um die Uhr in Hauseingängen und an Straßenecken die Beine in den Bauch und warteten auf Freier. Am oberen Ende der Straße gab es ein Wohnheim für Obdachlose und eine Jugendherberge, die schon von außen nach Ungeziefer und Schimmel aussah. Die meisten Fenster der Herberge hatten keine Vorhänge und man konnte Hochbetten aus Metall sehen und fleckige Wände, von denen sich die Tapete löste. Auf dem Rasenstück vor dem Gebäude saßen häufig Gruppen von jungen Leuten. Vermutlich zogen sie es den versifften Schlafräumen vor.
    Jesse schaute über die Schulter auf sein Schlafzimmer, das mit Bett, Hocker, Kleiderschrank und Kleiderständer gut gefüllt war. Es war sein Reich, das er mit niemandem teilen musste. Er hätte es gern geteilt. Mit jemandem, der für ihn da war, wenn er ihn brauchte. Der zu ihm stand. Der zu ihnen stand und sich nicht aus dem Staub machte, wenn es unbequem wurde. Jemand wie Tobey Sharp, der sich von nichts und niemandem einschüchtern ließ und unbeirrt seinen Weg ging. Gleichgültig, was die anderen dachten oder sagten.
    Jesse spürte, wie sich die harte Kapsel in seiner Brust einen winzigen Spalt öffnete. Mit einigen konzentrierten Atemzügen drückte er sie wieder zu. Wer tief einatmete, konnte nicht gleichzeitig wütend sein. Nach einem

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