Dark Love
Mink?« Pam versuchte es ein zweites Mal, ihre Stimme klang verzagt und als käme sie aus weiter Ferne. Vespertine beachtete sie nicht, sie stand nur da und betrachtete mich mit einer Mischung aus Hass und Abscheu. Zehn Punkte für mich.
»Miss Roe möchte Ihnen etwas sagen.«
»Wen interessiert das?«, schnappte sie.
»Miss Mink?« Pamela rückte näher an mich heran.
Vespertines Kopf fuhr hoch, die Locken umtanzten ihren Hals. »Was?«
Einen Moment lang schien Pamela von Vespertines funkelndem Blick wie gebannt zu sein und ich befürchtete schon, sie hätte ihren genialen Einfall oder ihre geistreiche Retourkutsche oder was auch immer es war vergessen. Beißende Bemerkungen waren noch nie Pams Stärke gewesen. Dann aber lächelte sie und fragte: »Gibt es einen speziellen Grund, warum Ihre Familie des Jahres 2178 gedenkt? Eine besondere Errungenschaft vielleicht?«
Vespertines Augen verengten sich zu Schlitzen. »Ach, halten Sie den Mund.«
Pamela riss in großartig gespielter Überraschung die Augen auf. »Habe ich Sie etwa beleidigt? Ich war lediglich neugierig, da seitdem doch nun schon beinahe zwanzig Jahre vergangen sind.« Ihr Blick wanderte die Einfahrt hinab bis zu der unmodernen mattbraunen Kutsche der Minks – auf deren Türen die Jahreszahl 2178 eingraviert war.
»Ihre Familie besitzt, wie viele? … vierzehn pferdelose Kutschen? Donnerwetter, das sind schon einige.«
Innerlich jubelte ich. Gott allein wusste, warum die Minks immer diese uralte Kutsche schickten, um Vespertine abzuholen – es sei denn, sie wollten sie auf diese verdrehte Art Bescheidenheit lehren. In diesem Fall würde ich mir das Datum glatt auf die Stirn tätowieren lassen, zum Zeichen meiner vollsten Unterstützung.
Vespertine warf die Haare zurück. »Schön, treibt nur eure dummen, kleinen Spielchen. Ich bin mit euch fertig. Dearly, du bist erledigt. Endgültig erledigt. Roe, ich würde mich an deiner Stelle lieber vorsehen, oder du landest wieder in dem Ghetto, aus dem du gekommen bist.« Sie funkelte mich noch einen Moment lang an, dann stolzierte sie über den Hof zurück zu ihrer Clique herausgeputzter Mädchen, die uns beobachteten.
»Ich freue mich schon drauf!«, rief ich ihr nach. Pamela langte nach dem Griff und öffnete die Kutschentür. »Ich kann einfach nicht glauben, dass du das gesagt hast!«, platzte ich heraus und konnte ein breites Grinsen nicht unterdrücken.
»Und ich kann nicht glauben, dass du überhaupt so mit ihr sprichst«, antwortete Pam und ihre Miene wurde ernst. Ich schob mich in die Kutsche und sie stieg hinter mir ein. »Das war dumm, sehr dumm, aber sie hat es ja nicht anders gewollt.«
»Es ist mir völlig egal, was Mink von mir hält. Sie ist ein gemeines kleines Scheusal. Aber du …«
»Ich weiß. Ich bin auf sie angewiesen. Ich brauche jegliches Wohlwollen, das ich bekommen kann.« Pam sah aus dem Fenster. Mit Verwunderung stellte ich wieder einmal fest, dass sie bereits leichte Falten unter den Augen hatte. Meine gute Laune, die immerhin volle zwei Minuten angedauert hatte, verflog.
Ich wollte etwas sagen, um sie zu beruhigen. »Lass mich das mit ihr ausmachen, Pam. Sie ist meine Feindin, nicht deine. Sie wird das hier einfach vergessen, wenn ich dafür sorge, dass sie mit mir beschäftigt ist, also mach dir keine Sorgen. Ich mache das jetzt schon seit Jahren so … seitdem sie versucht hat, mich dazu zu bringen, ihr die Bücher hinterherzutragen. Das ist nur ein altes Spielchen.«
Pamela nickte stumm, doch ich fühlte, dass sie noch immer aufgewühlt war.
Der Flachbildschirm, der in die Rückwand der Fahrerkabine vor uns eingelassen war, registrierte die Anwesenheit von Passagieren und erwachte leuchtend zum Leben. Zuerst erschien schimmernd in goldenen Lettern das Datum auf dem Schirm, dann kamen die Nachrichten. Der Bildschirm nahm das Aussehen von Papier an und in brauner Tinte geschriebene Schlagzeilen erschienen auf der Seite. Nichts als affektiertes Getue. Abgesehen von antiken Büchern und sehr wichtiger Korrespondenz war heute alles digital.
»Na also«, meinte ich und machte es mir in den quietschenden Sitzen aus Lederimitat bequem. »Die Nachrichten. Der Beweis, dass es dort draußen noch eine Welt gibt.« St. Cyprian hatte es sich zur Aufgabe gemacht, junge Damen hervorzubringen, die schwebten, anstatt zu laufen, die ein bisschen Klavier spielen konnten und sich ansonsten charmant und bescheiden gaben. Zu diesem Zweck war die Schule ein sehr behüteter Ort.
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