0419 - Der Grusel-Star
Kraftvoller Lebensspender und gnadenloser Vernichter. Auch wenn es lange Zeit hatte gebändigt werden können, irgendwann einmal verschaffte es sich freie Bahn. Dann drückte es mit seiner gewaltigen Kraft alle Hindernisse zur Seite und riß an sich, was es nur greifen konnte.
Ob über oder unter der Erde, die Wassermassen glitten in jeden Spalt, in jede Kerbe, fanden neue Tunnels und Schächte, in die sie mit einem wahren Donnergetöse hineinjagten.
Auch in die unterirdische Gruft, die im letzten Augenblick von zwei Menschen hatte verlassen werden können, waren die Fluten eingedrungen. Schwere Steine wurden weggeschleudert, Schutt und Staub einfach mitgerissen. Genau wie die Reste des alten Holzsargs. Sie und den Toten, der einmal in dem Sarg gelegen hatte, trugen die Wassermassen nach oben, zu einem zerstörten Gitter, das einmal die Decke der Gruft gebildet hatte.
Andere Wassermassen tobten sich an den verschiedenen Ecken der Gruft aus. Dort fanden sie nicht nur Geröll und Schutt, sondern auch einen Menschen, der ausgeblutet unter den Trümmern gelegen hatte. Zwei Schwerthiebe hatten seinem Leben ein Ende gesetzt.
Und noch jemand wurde von den Fluten gepackt. Ein goldener Gegenstand, als Mensch kaum zu erkennen, mehr eine klumpige Masse mit körperähnlichen Umrissen.
Sie war schwer, würde auf dem Wasser nicht schwimmen, aber der ungebändigten Kraft der tobenden und schäumenden Fluten hatte auch sie nichts entgegenzusetzen.
Der goldene Klumpen verschwand in einem Wasserkreisel, rotierte darin und wurde zur Seite geschleudert. Zuerst gegen die Wand, die durch die Wucht brach, so daß das Wasser in einen darunterliegenden Schacht dringen konnte, der Gefälle hatte.
Alle Flüsse und Bäche führen zum Meer.
Das Wasser unter dem alten Bergkloster bildete keine Ausnahme.
Es folgte den Gesetzen der Physik, drang tiefer in den Berg und fand mit einer untrüglichen Sicherheit jeden noch so kleinen Stollen, wo es seinen Weg in Richtung Küste oder Meer fortsetzen konnte.
Begleitet von einem Zombie, einem toten Menschen, einer Mumie und einem Klumpen Gold mit menschlichen Umrissen.
Es spielte mit diesen vier Beutestücken, schleuderte sie gegen Felsen, riß sie dann wieder mit, damit sie die rasende Flut auf dem Weg ins offene Meer begleiten konnten.
Es schien so, als hätte die Hölle selbst für das Wasser den Weg geebnet, damit es das Grauen auch ausspeien konnte und es nicht länger unter dem alten Kloster liegenblieb.
Manchmal hatte es die Wucht einer regelrechten Sprengkraft.
Hatten sich kleine Höhlen aufgefüllt und war kein Platz mehr für das nachströmende Wasser vorhanden, so breitete sich der Druck nach allen vier Seiten hin aus und durchbrach die schwächsten Stellen.
Steil war die Küste. Die braunen Felsen fielen scharf wie Messerschneiden in die Tiefe. Die am Himmel stehende Sonne hatte noch längst nicht die Kraft des Sommers, auch wenn sie im Januar für Mitteleuropäer sehr warm schien.
Aber Zypern erlebte so den Winter.
Und die Strahlen der Sonne tupften blaß gegen die Felsen und gaben den Wänden einen matten Widerschein, der plötzlich aufgebrochen wurde, als das Wasser sich Bahn brach.
Tonnenschwere Gesteinsbrocken wurden zwischen die vor der Felswand wachsenden Klippen geschleudert und verschwanden in der weißen Brandungsgischt.
Es sah so aus, als hätte sich eine gewaltige Röhre geöffnet, die nicht allein das Wasser ausspie, sondern auch die Beute.
Ob die Teile des zerstörten Sargs, die noch übriggeblieben waren, die Toten oder der goldene Klumpen. Sie alle fanden den Weg in die Freiheit und versanken in den Fluten.
Die Brandung spielte mit ihnen, trieb sie gegen die Felsen, zerstörte sie noch mehr, doch sie holte sie auch wieder wie mit langen, gläsern wirkenden Greifarmen zurück, um sie schließlich auf das offene Meer zu treiben. Selbst der unförmige Goldklumpen schwamm. Er blieb ziemlich dicht unter der Wasseroberfläche, bewegte sich mit dem Gang der Wellen weiter, als hätte er ein bestimmtes Ziel im Auge…
***
»Kommt das öfter vor?« fragte Suko und deutete gegen den Himmel, der eine andere Farbe angenommen hatte.
Der Mann auf dem Fischkutter hob die Schultern. Er war noch jung. Zusammen mit seinem Vater, der im Ruderhaus stand und steuerte, war er zum Fischfang hinaus aufs Meer gefahren. Zum Glück verstand der junge Mann unsere Sprache. Er hatte sie in Nikosia gelernt, wie er uns stolz erzählte.
»Was meinen Sie denn?«
»Diese düstere
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