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Dark Room

Dark Room

Titel: Dark Room Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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versuchte, der inneren Stimme auf die Spur zu kommen, die ihr zu vage und trotzdem unangenehm fordernd sagte, dass sie sich um irgendeine Sache kümmern sollte.
    Erst nachdem sie im Keller lange unter der Gästedusche gestanden hatte, erinnerte sie sich, wie unruhig ihr Schlaf gewesen war. Etwas hatte ihn immer wieder unterbrochen. Sie frottierte sich die Haare und ging dabei nackt in der Wohnung herum, bis ihr Blick auf das Telefon fiel, und sie wusste in dem Moment, dass ein Klingeln sie geweckt hatte. Immer wieder. Konnte es sein, dass es die ganze Nacht hindurch geläutet hatte?
    Sie sah auf das Display und fand eine rote Acht. Acht Anrufe. Mehr als in den letzten drei Wochen zusammen. Normalerweise rief höchstens ihre Chefin aus der Massage-Praxis an, aber nie Samstagnacht. Evi hatte sich schon lange nicht mehr gemeldet. Tante Lorina wusste, dass sie regelmäßig vorbeikam. Und sonst hatte fast kein Mensch ihre Nummer.
    Sie hörte die Mailbox ab. Der erste Anruf war von Evis Freund oder Exfreund, so genau wusste sie das nicht, offenbar rief er aus einer Kneipe an, denn im Hintergrund hörte man Stimmengewirr und einen Fernseher, es lief eine Sportübertragung.
    »Hier ist Jan. Ich wollte nur fragen, ob du was von Evi gehört hast. Ich muss dringend mit ihr sprechen, aber sie geht nicht ran. Danke, viele Grüße.«
    Zweiter Anruf: Jan. »Fiona? Es wär echt dringend. Wir haben uns total gestritten, und seitdem ist Funkstille. Sag ihr, sie soll mich anrufen, ja?«
    Der dritte: Jan. Diesmal merklich angetrunken. »Fiona, wenn ihr Vater dahintersteckt, musst du irgendwas machen. Ihr seht euch doch. Dieser Arsch, er verbietet ihr, mich zu treffen. Sag ihr, sie soll mich anrufen!«
    Nummer vier: nun völlig blau. Fiona seufzte und hielt den Hörer etwas weiter vom Ohr weg, denn Jan brüllte jetzt ziemlich. »Ich weiß genau, dass er sie nicht lässt! Man sollte den anzeigen, diesen Wichser! Sie ist erwachsen, das ist Kidnapping … Kidnapping.«
    Danach lallend. »Sie will mich nicht. Sie hat gesagt, sie will nicht, letzte Woche, ich muss, Fiona? Ich muss sie sprechen. Ich liebe sie. Sie fickt den Alten, Fiona, du weißt das. Ich liebe sie.«
    Sechster Anruf: unverständliches Gestammel. Sie hörte nur einzelne Brocken heraus. »Fertigmachen«, »Arsch«, »Tochterficker«, »will se das«, später auch »se will das« und laute Würgegeräusche. Eine männliche Stimme, offenbar der Wirt, versuchte, Jan zum Gehen zu bewegen, und sagte ungeduldig: »Du hast genug, geh nach Hause.«
    Fiona überlegte, ob sie sich den siebten überhaupt anhören wollte, und machte sich auf erneutes Gebrüll gefasst. Stattdessen hörte sie nur Stille, und da wurde ihr plötzlich eiskalt. Sie wickelte sich in die Decke, trat von einem nackten Fuß auf den anderen und wartete atemlos. Schließlich kam doch noch Jans Stimme. Er sagte nichts, ein leises Schluchzen war auf der Mailbox, ein stummes Weinen, wie es jemand hervorbringt, der von Schmerz und Verzweiflung völlig ausgewrungen wird. Fiona wagte nicht, das Telefon abzuschalten, und wartete, bis die Aufnahme zu Ende war.
    Ein Anruf blieb übrig. Der achte.
    Fionas Finger zitterte, als er über der Taste schwebte, sie musste sich zwingen, darauf zu tippen. Im Display erschien wieder Jans Name. Der Anruf, der sie geweckt hatte. Seine Stimme klang ganz fremd, fast hätte sie ihn nicht erkannt. Sie war tonlos und merkwürdig abgehackt, wie von einem Computer. Lange Pausen lagen zwischen den einzelnen Worten, und es hörte sich an, als läse er eine exotische Sprache ab, wüsste aber nicht wirklich, was die Laute bedeuteten. Er sagte nur wenige Sätze: »Sie ist tot. Ich komme von der Polizei. Ich war bei ihr. Da ist alles voller Blut. Ich werde verrückt, Fiona. Ich glaube, ich werde verrückt.«
    Fiona wartete nicht, bis die Ansage vorbei war. Sie zog sich in rasender Eile etwas über, als müsste sie zu einem Notfall, als wäre noch irgendetwas zu ändern, als könnte sie Evi retten, wenn sie sich nur genug hetzte, und rannte zur Haustür hinaus.
    Erst draußen fiel ihr ein, dass Püppi sie hergebracht hatte und ihr Wagen noch in Zehlendorf stand. Sie hängte ihre Tasche quer über ihren Oberkörper und spurtete los. Wenn sie die U-Bahn nahm, wäre sie in zwanzig Minuten bei Jan, und der würde ihr sagen, dass das alles ein Missverständnis war, ein Aussetzer wegen des vielen Alkohols. Während sie sich das ein ums andere Mal vorbetete, wusste sie, dass alles, was er gesagt hatte, wahr

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