Dark Room
fühlte, wie sie durch die Gänge getragen wurde. »Bringst du mich in den Wald zu den Häschen?«, nuschelte sie an Püppis Brust.
Fiona kicherte, als Püppi in ihren Taschen nach dem Haustürschlüssel suchte. Sie stand an sein Auto gelehnt vor ihrem Haus und bewegte sich keinen Zentimeter. Es war zu lustig, sie musste immer wieder kichern. Er fand den Schlüssel, und sie zog an seinem Arm wie ein quengelndes Kind: »Trag mich!«
Püppi seufzte, warf sie sich über die Schulter und ging mit seiner Last durch den winzigen Vorgarten. Der türkische Nachbar kam aus seinem Haus, nickte kurz und sah missbilligend auf die baumelnde Fiona. »Geht sie nie zu Fuß nach Hause?«
Püppi sagte nur »merhaba«, schloss auf und brachte Fiona in den Flur.
Er setzte sie ab, und sie zerrte sich noch im Flur die Kleidung herunter, bis sie in Unterwäsche vor ihm herging, vorbei an dem Badezimmer, dessen Tür immer geschlossen war. Er stand nur da und trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich hab so ’n Hunger!«, rief sie ihm aus der Küche zu. Er stapfte ihr hinterher, und sie hielt ihm den Schinkenblock und ein Messer entgegen. Er schüttelte den Kopf. »Ich hatte genug Fleisch heute Nacht.«
Mit fahrigen Bewegungen zerrte Fiona ihr Bettzeug und die Plüschtiere unter dem Küchentisch hervor und schleppte alles in den Flur. Dort schob sie die dünne Matratze in die Garderobennische und schlüpfte unter die Decke. Püppi besah sich den ausgeblichenen Kalender mit Landschaftsmotiven, dessen Blätter sich schon wellten.
»Wieso ziehst du hier nicht aus? Oder renovierst wenigstens mal komplett?« Er zeigte auf ihre Schlafkoje. »So kann man doch nicht wohnen.«
Sie kuschelte sich an die große Plüschraupe Absolem.
»Weggehen kann ich nicht. Und meins ist es nicht.«
Sie öffnete noch einmal die Augen. »War die Grinsekatze heute da? Die Frau mit der Maske auf den Rollschuhen, war sie das?«
Er zuckte die Achseln.
»Hast du mit ihr telefoniert, bevor wir hingefahren sind? Du musst mich zu ihr bringen. In der Nacht, in der Evi ermordet wurde, bin ich durch ihren Garten gelaufen. Und es war jemand hinter mir her. Ich glaube, der kam von der Truckparty.«
Püppi stand stumm wie ein Soldat in der Tür zum Flur, und zum ersten Mal seit Tagen wusste sie, sie würde traumlos durchschlafen.
Während ihr Atem schon tiefer wurde, hörte sie noch, dass er den Umschlag öffnete und wieder die Fotos durchsah. Dann wählte er auf seinem Handy eine Nummer und sagte leise und eindringlich: »Plan B, Sie müssen die Kleine treffen. Es ist alles ganz anders, als wir dachten. Sie hat Fotos aus dem Sektenhaus – das glauben Sie nicht!«
8 LONELY TWIN
Obwohl sie ihr ganzes Leben in Berlin wohnte, war Fiona noch nie im Hamburger Bahnhof oder einem anderen Kunstmuseum gewesen. Das große Gebäude mit seinen beiden Türmen, die nachts hellblau angestrahlt wurden, hatte sie immer an eine Kulisse für Ritterspiele erinnert und sie auch eingeschüchtert. Ohne näher darüber nachzudenken, fand sie, ihre Eltern hätten sie die ersten Male mit ins Museum nehmen und ihr zeigen müssen, wie man sich vor den Kunstwerken verhielt. Aber so einen Besuch hatte es nie gegeben, und die Erzieherinnen im Heim hatten keine Ausflüge zu den Sammlungen angeboten.
Während Fiona um Mitternacht neben dem Springbrunnen am Haupteingang stand, fragte sie sich, ob sie dadurch wohl etwas verpasst hatte. Jetzt kam sie nicht mehr drum herum, und sie stieg die Stufen zum Eingang hinauf und fand die Tür offen. Sie fragte sich nur kurz, wie die Grinsekatze das arrangiert hatte. Wahrscheinlich gehörte jemand vom Wachpersonal oder von der Museumsleitung zu ihren Kunden.
Drinnen war es dunkel, und die Wände warfen das Echo ihrer Schritte zurück. Die riesige ehemalige Bahnhofshalle hinter den Kassen lag menschenleer und dunkel vor ihr. Vielleicht wurde die Ausstellung gerade umgebaut, Gerüstteile an der Seite, Leitern und große Holzkisten deuteten darauf hin. Der Boden war hier mit Packpapier abgedeckt und raschelte leise, als sie darüber ging.
Nur in einer Ecke schimmerte ein gelbliches Licht. Sie erkannte ein Spiegelkabinett aus Holz, das an altmodische Jahrmärkte erinnerte. Die Zerrspiegel, die auf den Wänden angebracht waren, gaben Fiona ihr eigenes Bild entweder strichdünn oder ballondick wieder.
Über dem Eingang hingen nicht nur Schilder, auf denen Spruchblasen standen wie »Oben ist unten, und unten ist oben« und »Tritt ein ins Labyrinth« und
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