DARKNET
Es stimmte, dass er die Menschen in Richtung Zivilisationserhaltung trieb, aber er schränkte auch den freien Willen ein. Und wollten die Menschen wirklich, dass über ihren Köpfen ein kybernetischer Organismus schwebte – die Schöpfung eines Irren?
Sebeck hörte Schritte auf der Steintreppe hinter ihm. Er drehte sich um und erblickte Laney Price, in einem neuen schwarzen T-Shirt und Parachute-Pants. Auf dem T-Shirt prangten in fetten weißen Buchstaben die Worte: « DANKE … dass Sie Ihre Gefühle nicht zeigen.»
«Wo kriegen Sie diese albernen T-Shirts her?»
Price schaute an sich herunter, um die Aufschrift zu studieren. «Gefällt’s Ihnen? Das Neueste vom Neuen, Mann. Intelligentes Plastik. Hab’s an dem Tag, als ich hergekommen bin, im Gift-Shop gekauft.»
«Moment … es gibt hier einen
Gift-Shop
?»
«Klar doch. Flexibles, programmierbares Plastikdisplay. Dauert etwa eine Stunde, die Aufschrift zu ändern. Cool, was?»
Sebeck drehte sich wieder zur Brüstung. «Sie haben mich runtergevoted, Sie Mistkerl.»
Price trat neben ihn. «Na ja, was haben Sie denn erwartet? Sie haben mich doch behandelt wie den letzten Dreck.»
«Ein Ruf-Wert von
zwei
Sternen?»
«Oh, auf der Basis von eins! Was ist das schon. Sie können es ja wieder auswetzen. Versuchen Sie einfach, nicht so ein Arsch zu sein. Das wirkt Wunder.»
«Ich sollte
Sie
runtervoten.»
«Ich habe eine Basis von vierhundertsechs, Kumpel. Viel Glück. Außerdem wüsste ich nicht, was Sie als Begründung angeben wollten. Sie wissen verdammt genau, dass es einen Grund geben muss, der einem fMRI-Lügendetektortest standhält.»
Sebeck hob die Hände. «Herrgott, wir hören uns an wie zwei Geeks bei einer Star-Trek-Convention.»
«Zufällig
kann
ich Klingonisch, Mann. Also …
Hab SoSll’ Quch!
»
Sie hörten wieder Schritte, und als sie sich umdrehten, sahen sie Riley herankommen.
Sebeck nickte ihr grüßend zu.
Sie taxierte ihn. «Auch wenn es Ihnen vielleicht nicht passt, Sergeant, Sie werden ein fähiges Darknet-Mitglied sein. Ich glaube, Sie sind jetzt so weit, Ihre Quest fortzusetzen.»
«Dann geben Sie mir also meine Bewertung?»
Sie nickte und hob die Hände mit den beringten Fingern. Mit ein paar präzisen Bewegungen steuerte sie ein unsichtbares Objekt an eine unsichtbare Stelle, und Sebeck sah eine Botschaft auf seinem HUD . Sie besagte, dass Riley ihn gerade auf einer Skala von eins bis fünf bewertet hatte – mit einer Vier. Jetzt hatte er auf einer Basis von zwei einen Ruf-Wert von drei. Einen halben Stern über Mittelmaß.
Aber wichtiger noch: Im selben Moment entsprang etwa drei Meter schräg oberhalb von Sebecks HUD -Höhe ein neuer blauer Thread. Er lief das Felskliff hinab, durchs Valley und zum nordöstlichen Horizont, wo er verschwand.
Sebeck holte tief Luft. Es war schwer, das Wiedererscheinen dieser alles beherrschenden Linie zu akzeptieren. Wo sie ihn hinführen würde, wusste keiner.
«Sehen Sie’s, Sergeant?»
Er nickte. «Ja. Mein Thread ist wieder da.»
«Dachte ich mir schon. Ihre Quest wird Sie zu neuen Orten und Geschehnissen führen. Wie Sie dadurch aber letztlich zu diesem ‹Wolkentor› gelangen könnten, weiß ich nicht. Ich habe im Darknet nach irgendetwas namens Wolkentor gesucht, aber nichts gefunden. Woanders wird es allerdings erwähnt.»
«Wo?»
«In der Mythologie.»
«Toll. Dann suche ich also einen Mythos …»
«Mythen sind immer noch mächtig, Sergeant. Sobols Spiele gründen sich darauf. Mythen sind Archetypen, die immer wieder in den Hoffnungen und Ängsten der Menschen auftauchen. Sie haben Macht über uns. Das gesamte Konzept des Daemon geht auf die Schutzgeister der griechischen Mythologie zurück – Geister, die über die Menschen wachen, damit sie sich nicht in Schwierigkeiten bringen. Das ist ja jetzt wohl real genug.»
Sebeck zuckte die Achseln. «Okay. Was sagen diese Mythen über ein Wolkentor?»
«Es war das Tor zum Himmel, bewacht von den Horen – den Göttinnen des geordneten Lebens. Die Horen wurden auch die Göttinnen der Tages- und Jahreszeiten genannt. Ihre Mutter war Themis, die Göttin der Gerechtigkeit und Ordnung.»
Der Name sagte Sebeck etwas. «Die von der ‹Themis-Skala›?»
Sie nickte. «Eine allegorische Personifizierung der moralischen Kraft – ein Mythos, der so mächtig ist, dass er in unsere Gesellschaft als die Figur der blinden Justitia eingegangen ist – eine der wenigen Göttinnen unserer neuen Republik. Ihre Symbole umgeben
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