DARKNET
Executives in ihren Savile-Row-Anzügen. Der eine war ein käsiger Brite, der andere Pakistani, ebenfalls mit britischem Akzent. Wahrscheinlich Absolventen von Eliteschulen und -universitäten. Mit einer Frau und zwei kleinen Kindern zu Hause – und ohne den geringsten Schimmer, dass es da irgendwo ein Video gab, das sie beim Sex mit jungen Frauen (oder Männern) zeigte, entstanden auf einer Geschäftsreise nach Panama, Mali, Brasilien oder sonst wohin. Es galt, das Material zu beschaffen, solange sie jung und aufstrebend waren und noch nicht glaubten, dass sich irgendjemand für so etwas interessierte. Bevor sie zu mächtig wurden. Diese reichen Dynastien benutzten schon seit Jahrzehnten Offshore-Photo-Mills, um sich die Loyalität ihres Nachwuchses und des Nachwuchses ihrer Geschäftspartner zu sichern. Man verheiratete die jungen Leute, etablierte sie als geachtete Mitglieder der Gesellschaft, zahlte ihnen einen Haufen Geld – beschaffte sich aber grundsätzlich Fotos, die sie mit minderjährigen Nutten zeigten. Je perverser, desto besser. Das konnte sich mehr als auszahlen, wenn sie erst einmal einer Regierungskommission vorstanden oder mit schädlichen Informationen an die Öffentlichkeit gehen wollten. Politische Ideologie spielte keine Rolle. Man spendierte Ultralinken ebenso Vergnügungstrips wie Ultrarechten. Der Major hatte sich in den achtziger Jahren seine Sporen bei einer solchen Operation in Panama verdient, wo unter Einsatz von Kokain und Prostituierten potenziell karrierevernichtende Bilder generiert wurden, die die Geschäftswelt auf Kurs hielten. Durch Photoshop waren Fotos als Druckmittel bedeutungslos geworden. Jetzt gingen nur noch HD -Videos, und früher oder später würde die Animationssoftware auch das torpedieren. Jemand musste schleunigst eine Lösung finden, sonst war das ganze Erpressungsgeschäft hinüber. Zum Glück war der Major längst mit ernsthafteren Operationen befasst.
Die MBAs evaluierten gerade die Weltwarenmärkte und fuchtelten mit Laser-Pointern herum.
Der Major sann über seinen jetzigen Arbeitsbereich nach – und über seinen Weg dahin. Es war über zwanzig Jahre her, dass er seinen ersten Menschen getötet hatte. Kein göttlicher Blitzstrahl hatte ihn getroffen. Vielmehr war einfach nur ein Problem aus der Welt verschwunden.
Er erinnerte sich immer noch an den muffigen Geruch des Hotelzimmers in La Paz. An das blecherne Geräusch des Zweitakters, der draußen vorbeiknatterte, während er da stand, ein blutiges Messer in der Hand. Die junge Gewerkschafterin am Boden, ihre weit aufgerissenen Augen, die ihn anstarrten, während sie ihre Kehle umklammerte und gurgelnde Geräusche von sich gab. Das Universum kümmerte es einen Dreck. Ebenso gut hätte er Brot schneiden können.
Und das war sein erster Schritt zum Erwachen gewesen – zur Erkenntnis, dass der Mythos der westlichen Welt eine Gutenachtgeschichte war, ein beruhigendes humanistisches Märchen. Sklaverei existierte überall – selbst in den Vereinigten Staaten. Alle waren auf die eine oder andere Art versklavt. Sklaverei war nichts weiter als Kontrolle, und Kontrolle sorgte dafür, dass alles seinen geordneten Lauf nahm. Sie war es, die Fortschritt ermöglichte.
Doch jetzt erschien auf der Projektionsleinwand plötzlich das
Problem
, auf das er gewartet hatte. Ein Balkendiagramm mit der Unterschrift «Rückgang der Agrarsubventionsanträge in den USA ». Der Major wandte den Blick vom Fenster ab, aus dem er versonnen gestarrt hatte, und versuchte sich voll auf die Präsentation des pakistanischen MBA zu konzentrieren.
«… in bestimmten Countys einen Rückgang um neunzig Prozent – beispiellos in der Geschichte der modernen amerikanischen Landwirtschaft. Offenbar haben die Farmer in diesen Countys
massenhaft
beschlossen, keine subventionierten Feldfrüchte mehr anzubauen – obwohl für nichts anderes ein Vertriebssystem existiert. Irgendetwas veranlasst sie, so zu handeln, und zwar zeitgleich und ungeachtet der Marktbedingungen.»
Für den Major war die Sache sofort klar. Nichts sonst hatte die Reichweite, das zu schaffen – noch dazu so plötzlich. Das konnte nur der Daemon sein.
«Warum sollten Farmer freiwillig auf Subventionen verzichten», sagte er von seinem Platz an der hinteren Wand aus. «Wenn die Preise steigen, warum bauen sie dann nicht erst recht Mais oder Sojabohnen an?»
«Verzeihung, Sie sind …?» Den Pakistani verdutzte die Frage des Unbekannten aus der hintersten
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