DARKNET
Bürostühle standen. An der Wand war ein Whiteboard. Riley bedeutete Sebeck, sich zu setzen, und machte die Tür hinter ihnen zu.
«Nicht gerade die Umgebung, die ich mir für eine Lehrstunde in Magie vorgestellt hätte.»
Sie setzte sich auf die Kante des Tischs und betrachtete ihn eine ganze Weile schweigend.
Er sah sie fragend an. «Was?»
«Ich habe ein wenig über Sie recherchiert. Sie haben Schweres durchgemacht, aber da sind Sie nicht der Einzige. Sind Sie je auf die Idee gekommen, Price zu fragen, was
er
durchgemacht hat? Nein. Und ich sehe auch nicht, dass Sie in irgendeiner Weise Verantwortung für das Leid übernommen hätten, das Sie anderen zugefügt haben. Ihrer Frau und Ihrem Sohn, zum Beispiel.»
«Meine Familie geht Sie nichts an. Ja, ich habe die Menschen belogen, die mir am nächsten stehen – und mich selbst auch. Im Gefängnis hatte ich viel Zeit, über den Mann nachzudenken, der ich damals war. Ich trage schwer genug an meiner Reue, also lassen Sie das.»
Riley dachte darüber nach. Die Härte wich aus ihrem Gesicht. Sie stand auf. «Vor ein paar Jahren war ich mit meinem Pferd beim El Morro unterwegs. Da entdeckte ich auf einem Hügelkamm einen Kojoten, der mit seinem Rudel Schritt zu halten versuchte. Ihm fehlte ein Bein. Er war mager. Aber er
ist
drangeblieben. Das hat sich mir eingeprägt. Es ist etwas, das wir von den Tieren lernen können. Sie vergeuden keine Zeit damit, sich selbst zu bemitleiden.»
Sebeck seufzte. «Was wollen Sie von mir, Riley? Ich bin doch hier, oder?»
«Sind Sie das? Fragen Sie sich doch mal, was Leute dazu treibt, sich dem Daemon-Netzwerk anzuschließen. Halten Sie alle diese Leute wirklich für schlecht? Sie versuchen lediglich, ihrem Leben einen Sinn zu geben. Und dieses Netzwerk hilft ihnen dabei. Der Daemon hat keine Ideologie. Er ist einfach nur das, was wir aus ihm machen. Er
wird
für die Aufrechterhaltung der Ordnung sorgen, aber was für eine Ordnung das ist, bestimmen wir. Sie haben die Chance, für künftige Generationen etwas Positives zu erreichen. Wenn Sie in irgendeiner Weise Wiedergutmachung leisten wollen, dann ist das die Gelegenheit. Ihre jetzige Quest kann Gutes bewirken. Also schlage ich vor, Sie passen auf und lernen, was ich Ihnen beibringen möchte. Je schneller Sie es lernen, desto eher können Sie aufhören, Tote zu hassen, und wieder in die Welt der Lebenden eintreten.»
Sebeck starrte auf den Tisch wie ein gescholtenes Kind.
Riley ging nach vorn. «Kann ich anfangen?»
Sebeck nickte.
«Das schamanische Interface ist die Schnittstelle, über die man mit dem Darknet interagiert.
Schamanisch
heißt sie, weil sie so konzipiert ist, dass alle Menschen auf der Welt begreifen können, wie sie funktioniert, unabhängig von deren technologischem Entwicklungsstand und kulturellem Hintergrund.» Sie machte eine Serie präziser, schwungvoller Handbewegungen, die ein kompliziertes Muster aus leuchtenden Linien im D-Raum hinterließen. Als sie fertig war, ertönte im Raum eine überirdisch sanfte Stimme – wie ein guter Geist.
Sebeck sah sich nach dem Ursprung der körperlosen Stimme um.
Riley ließ die Hände sinken. «Das war Hypersonic Sound, Sergeant. Verlinkt mit einem auf somatischen Gesten basierenden Makro. Es sieht aus wie Zauberei. Selbst die entlegensten Stämme in Papua-Neuguinea verstehen das Konzept der Magie – und dass man dabei bestimmte Rituale einhalten muss. Sie glauben an eine Geisterwelt, in der Ahnen und übernatürliche Wesen über sie wachen. Das schamanische Interface verbindet einfach nur Hightech mit diesem Glaubenssystem und gewährt ‹Kräfte› und Mittel als Belohnung für nützliche, organisierte Aktivität.»
«Nützlich für wen?»
«Für die Menschheit, Sergeant. Das hier ist eine großangelegte Sache. Speicherstationen für menschliches Wissen und Technologie werden von Wissenschaftler-Fraktionen in aller Welt konzipiert und gebaut. Die einzige Vorgabe ist: Diese Speicher müssen viele Jahre funktionsfähig bleiben, ehrfurchtgebietend aussehen und mit automatisierten Systemen ausgestattet sein, die Menschen einfach nützliches Wissen vermitteln können. Kenntnisse, die die rationaleren Mitglieder der jeweiligen Population befähigen, Führungspositionen zu erlangen. Wenn also in einer Region die menschliche Zivilisation untergehen sollte, kann dieses System die Überlebenden binnen ein, zwei Generationen wieder mit Wissen ausstatten. Außerdem könnte es Gesellschaften auch dazu dienen, gar
Weitere Kostenlose Bücher