DARKNET
einschaltete und die Brille aufsetzte, wurde er Loki Strombringer. Er sah jetzt plötzlich das HUD -Display aus der Ego-Perspektive statt auf einer Projektionswand, und er sah Darknet-Objekte, die sich auf einer Augmented-Reality-Ebene bewegten. Sie waren überall. Das versprach eine höchst interessante neue Welt zu werden.
Ohne die Wachen zu beachten, ging er zielstrebigen Schritts zur Tür des Vorratsraums hinaus und weiter in Richtung der fernen Gästebungalows, von denen ihn seiner Schätzung nach etwa zwei Meilen leicht verwahrloster Gärten und ungemähter Rasenflächen trennten.
Den Wachen eisern den Rücken zugekehrt, marschierte er immer weiter. Minuten tickten dahin, und als er bereits ein paar hundert Meter vom Haupthaus entfernt sein musste, fühlte er die Spannung von sich abfallen. Er blickte durch seine neue Brille in den Himmel empor.
Dort sah er Callouts von Überwachungsdrohnen in mehreren tausend Fuß Höhe. Aber er war ja jetzt einer von ihnen, ein Darknet-Mitglied. Und er hatte vierhunderttausend Euro in seinem Gepäck. Die würde er dringend brauchen, da seine Konten ja alle von Sobols Daemon geleert worden waren. Wenn er doch nur nicht so gierig gewesen wäre. Aber er hatte ja noch ein paar Schließfächer in Zürich und Dubai.
Und er konnte ja jetzt alle Darknet-Identitäten stehlen, die er brauchte. Er musterte stirnrunzelnd Lokis Rufwert. Merkwürdig, das sah ja aus wie ein halber Stern von fünf möglichen. Und was war das? War Loki auf einmal nur noch ein Level-10-Hexenmeister?
Verdammt, was ging hier vor?
Egal. Es war ja nur eine temporäre Identität. Jetzt standen ihm alle Möglichkeiten offen. Gleich war er bei den Bungalows, und dann konnte er entweder zu Fuß zum Kraftwerk weitergehen oder versuchen, ganz offiziell ein Fahrzeug aus dem Darknet abzurufen.
Er riskierte es, sich kurz umzudrehen, aber da war niemand mehr in Sicht. Das Haupthaus lag jetzt über eine Meile hinter ihm.
Im Weitergehen schmunzelte er vor sich hin. Wenn er erst mal hier raus war, würde er ein paar Hacker kontaktieren, die in der Lage waren, nützlichen Gebrauch von dieser Darknet-Identitäten-Diebstahlstechnologie zu machen. Überaus nützlichen Gebrauch.
«Verzeihung, Major.»
Der Major erstarrte. Die schnarrende Stimme war
direkt hinter ihm
.
Der Major entsicherte sein Masada-Sturmgewehr und fuhr blitzartig herum, während er sich gleichzeitig duckte. Dann richtete er sich langsam wieder auf – sprachlos vor Verblüffung.
«Sie sind doch ‹der Major›, nicht wahr?», kam es mit einem harten deutschen Akzent.
Keine drei Meter von ihm entfernt stand die durchscheinende Gestalt eines Nazioffiziers in einem langen schwarzen Ledermantel, mit Monokel und Zigarettenspitze. Er wirkte absolut lebensecht, bis auf die Tatsache, dass er ein Geist war. Der Major war so perplex, dass er die Waffe weiter auf den Kopf des Geists gerichtet hielt.
Der wusste, wer er war.
«Ich habe Sie doch gleich erkannt.» Die Erscheinung tippte ihm aufs Jochbein. «An den Augen. Ich sehe solche Dinge.» Er zog an seiner Zigarette. «Mein Name ist Heinrich Boerner.» Er entledigte sich seiner Lederhandschuhe.
Gleichzeitig hörte der Major ein anschwellendes Heulen, wie von Elektromotoren. Er drehte sich um und sah eine Reihe Razorbacks auf sich zurollen. Warum hatte er sie nicht früher gehört?
«Scheiße!» Er wollte losrennen, sah aber eine weitere Reihe Razorbacks von den Bungalows herkommen – wie Löwen, die sich im tiefen Gras anpirschten. Es waren mindestens ein Dutzend, die ihn einkesselten. Er feuerte. Die Geschosse der Masada prallten wirkungslos von den Frontverkleidungen ab, und alle Maschinen entfalteten ihre Schwertklingen, während sie per Elektroantrieb übers Gras vorrückten.
Dann war das Magazin des Majors leer. Und direkt neben ihm stand Boerner und rauchte seelenruhig.
Boerner zog seinen schweren Ledermantel aus. «Ihre Schusswaffen nützen gar nichts, Major. Dies ist ein unaufhaltsames Ereignis. Gegenwehr verlängert nur das Unausweichliche.»
Die Razorbacks hatten den Major jetzt umringt – er war in einem Kreis von Schwertklingen gefangen.
Der Razorback direkt neben Boerner hob eine Klinge, und Boerner hängte seinen Ledermantel daran. Er krempelte die Hemdsärmel auf und grinste den Major an.
«Ich liebe meine Arbeit ja so …»
Lektüretipps
Ausführlichere Darstellungen der in diesem Buch angesprochenen Technologien und Themen finden sich in:
Michael Pollan:
Das
Weitere Kostenlose Bücher