Darkover 03 - Herrin der Falken
fragte schnell und leise: »Bist du verletzt?“
»Nein, aber –«
»Dann ist es gut. Machen wir, daß wir wegkommen!« Er ging mit einer Geschwindigkeit bergauf, daß Romilly ihm kaum folgen konnte. Sie wußte, daß sie zuviel getrunken hatte, und während sie benommen hinter Orain dreintaumelte, fürchtete sie, sich übergeben zu müssen. Nach einer Weile drehte er sich um, sagte freundlich: »Tut mir leid. Hier, Junge, nimm meinen Arm«, und stützte sie. »Du hättest diesen letzten Becher nicht austrinken sollen.«
»Mir ist nichts anderes eingefallen, was ich tun könnte«, gestand sie.
»Und du hast mir damit das Leben gerettet«, flüsterte er ihr zu. »Komm, vielleicht kannst du dich im Kloster noch etwas ausruhen, bevor… sieh doch!« Er wies zum sich aufklarenden Himmel empor. »Es hat aufgehört, zu schneien. Man erwartet von uns, daß wir uns am Mittwinterabend beim Gottesdienst zeigen. Jeder Gast, der nicht mit gebrochenem Bein zu Bett liegt, muß sich ihre verdammten Hymnen anhören! Und da das Wetter sich bessert, wird diese Ratte Lyondri –« Er ballte die Fäuste. »Er kann schon angekommen sein, in voller Lebensgröße und zweimal so schmutzig, und seelenruhig auf der Empore sitzen und wie ein besserer Mann Hymnen singen!«
Romilly fragte beunruhigt: »Würde er Euch erkennen, Onkel?«
»Und ob«, antwortete Orain. »Und andere dazu.«
Kann es sein, daß Carolin selbst irgendwo im Kloster ist? Oder sprach Orain von Alaric, dessen Familie von dem Hastur-Lord zum Tod verurteilt worden war? Oder von Carlo, der Carolins Vertrauen genoß? Orains Hand schob sich unter ihren Arm. »Stütze dich auf mich, Junge. Ich würde ja tun, als sei ich krank, und mich im Gästehaus verstecken. Aber dann brächten sie mich in ihre Krankenstube und hätten bald festgestellt, daß ich nur einen Becher zuviel Wein getrunken habe.«
Romilly blickte auf den Schnee zu ihren Füßen. Er kräuselte sich in dem scharfen Wind, der sich erhoben hatte, sobald der Schneefall aufhörte. »Gibt es wirklich ein Laran, mit dem man einen Wetterzauber machen kann?«
»So habe ich gehört«, brummte Orain, und seine Stimmung verdüsterte sich wieder. »Ich wollte, du hättest eine Spur davon, Sohn!«
4.
Der Gottesdienst am Mittwinterabend in Sankt Valentin im Schnee war weit und breit in den Hellers berühmt. Aus ganz Nevarsin und Umgebung kamen Leute, um den Gesang zu hören. Für Romilly war es nicht das erste Mal, aber noch nie hatten die Mönche so gut gesungen. Es wäre ihr ein Genuß gewesen, hätte sie sich nicht soviel Gedanken über Orains offensichtliche Nervosität gemacht. Er bestand darauf, daß sie sich ganz hinten hinsetzten, und als sie fragte, wo Dom Carlo sei und warum er nicht zum Gottesdienst komme, weigerte er sich zu antworten. Alaric hatte er befohlen, sich der Kapelle fernzuhalten. Gegen Ende des Gottesdienstes, als für einen Augenblick Stille herrschte, flüsterte er: »Noch keine Spur von Lyondri Hastur. Vielleicht haben wir Glück.« Er verzog das Gesicht. »Das größte Glück für uns wäre es, wenn er irgendwo in den Abgrund stürzte und überhaupt nicht nach Nevarsin käme!«
Und, wie Caryl gesagt hatte, es war ein Wetterzauber gemacht worden. Ich hätte nie geglaubt, daß es so schnell aufklaren würde.
Romilly sah Caryl, glänzend vor Sauberkeit, in der ersten Reihe des Chors. Sein Mund öffnete sich beim Singen wie der Schnabel eines Vogels, und seine Stimme schwebte über allen anderen. Es war vielleicht ganz gut, daß Dom Carlo nicht hier war. Aber Orain war in schrecklicher Unruhe. Der große, hagere Mann konnte nicht stillsitzen. Kaum war der Gottesdienst zu Ende, als er auch schon aufstand und sich zum Ausgang durchdrängelte. Er ging mit Romilly in den Stall und gab seinen Händen etwas zu tun, indem er die Kundschaftervögel überprüfte. Romilly ärgerte sich. Traute er ihr nicht zu, richtig für sie zu sorgen? Später begriff sie, wonach er Ausschau gehalten und warum er alle ihre Sachen dicht nebeneinandergelegt hatte, damit sie sie von einem Augenblick zum anderen nehmen und davonreiten konnten. Jetzt brachte es sie jedoch nur auf, und sie fragte sich, ob er immer noch betrunken sei oder von ihr glaube, sie sei zu betrunken, um ihre Arbeit ordentlich zu verrichten. Orain sah sich auch die Chervines und Pferde an, hob jeden Huf, kontrollierte Sättel und Satteldecken. Romilly hätte schreien können! Oder machte er sich nur im Stall zu schaffen, damit er sah, wenn Lyondri
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