Darkover 07 - Die Zeit der Hundert Koenigreiche
Liriel, Priesterin der Dunklen Mutter.«
»Hab dich nicht so«, meinte Anya gekränkt. »Ich dachte, Neuigkeiten aus deiner Heimat würden dich interessieren. Könnte doch sein, daß du diesen General kennst!«
Es muß Bard sein , dachte Carlina. Es gibt keinen anderen, der dieser General sein könnte . Laut erklärte sie mit Nachdruck: »Ich habe jetzt keine andere Heimat mehr als die Heilige Insel«, und grub ihren Löffel heftig in den Brei.
… Nein. Sie hatte kein Interesse mehr für das, was jenseits des Sees des Schweigens vorging. Sie war nichts anderes mehr als eine Priesterin Avarras und war es zufrieden, das ihr ganzes Leben zu bleiben.
»Du hast gut reden«, warf Schwester Anya ihr vor, »aber als vor einem halben Jahr bewaffnete Männer auf die Insel vordringen wollten, fragten sie nach dir, und zwar unter deinem alten Namen. Glaubst du, Mutter Ellinen wisse nicht, daß du einmal Carlina genannt worden bist?«
Der Klang dieses Namens zerrte an ihren bereits strapazierten Nerven. Carlina - Schwester Liriel - erhob sich zornig. »Du weißt ganz genau, daß es verboten ist, den weltlichen Namen einer Schwester auszusprechen, die hier Zuflucht gesucht und unter dem Mantel der Mutter gefunden hat! Du hast ein Gesetz des Tempels gebrochen. Als deine Vorgesetzte befehle ich dir, angemessene Buße zu tun!«
Anya sah sie mit großen Augen an. Vor Carlinas Zorn ließ sie den Kopf hängen, dann glitt sie voll ihrem Platz und kniete auf dem Kopfsteinpflaster des Fußbodens nieder. »Vor uns allen bitte ich dich demütig um Verzeihung, meine Schwester. Und ich verurteile mich dazu, einen halben Tag lang das Gras zwischen den Steinen des Tempelweges auszustechen und zu Mittag nichts anders zu essen als Brot und Wasser. Ist das genug?«
Carlina kniete neben ihr nieder. Sie sagte: »Das ist zu hart. Nimm eine richtige Mahlzeit zu dir, kleine Schwester, und ich selbst werde dir beim Säubern der Steine helfen, sobald ich mit meiner Arbeit im Haus der Kranken fertig bin. Denn auch ich bin schuldig, weil ich die Beherrschung verloren habe. Doch im Namen der Göttin bitte ich dich inständig, liebe Schwester, laß die Vergangenheit unter dem Mantel verborgen sein und sprich diesen Namen niemals mehr aus.«
»So soll es sein.« Anya erhob sich, nahm ihren Napf und ihre Tasse und trug beides in die Küche.
Carlina, die ihr mit ihrem eigenen Geschirr folgte, versuchte reuig, die Falte zu glätten, die sie zwischen ihren Brauen spürte. Die Nennung des Namens, den sie abgelegt hatte - für immer, hatte sie gehofft -, hatte sie heftiger aufgeregt, als sie zugeben mochte, und längst vergessene Gefühle aufgeweckt. Sie hatte hier Frieden, Kameradschaft, nützliche Arbeit gefunden. Hier war sie glücklich. Im Grunde hatte es sie nicht beunruhigt oder geängstigt, als Bard mit Bewaffneten am Ufer des Sees erschienen war. Sie hatte sich darauf verlassen, daß Avarra sie schützen werde, und sie vertraute fest darauf, daß sie auch weiterhin in Sicherheit war. Ihre Schwestern und der Zauber, den sie auf die Wasser des Sees gelegt hatten, schützten sie.
Nein, sie hatte keine Angst gehabt. Sollte Bard ganz Asturias, alle Hundert Königreiche erobern, das bedeutete ihr nichts.
Sie dachte nicht mehr an ihn, und er spielte in ihrem Leben keine Rolle mehr. Damals war sie ein junges Mädchen gewesen. Jetzt war sie eine Frau, eine Priesterin Avarras, und sie war sicher innerhalb der Mauern ihres erwählten Zufluchtsortes.
Schwester Anya hatte bereits damit angefangen, das Gras zwischen den Steinen auszustechen. Es war eine schwere Arbeit, die getan werden mußte, jedoch keiner Schwester aufgetragen werden konnte. Deshalb blieb sie liegen, bis jemand sie freiwillig als Buße für den Bruch einer Regel oder eine tatsächliche oder eingebildete Unvollkommenheit im Betragen auf sich nahm. Gelegentlich diente sie auch als Ventil für überschüssige Energie. Carlina dachte, die körperliche Anstrengung, das dichtverfilzte Gras zu beseitigen, das die Steine des Weges aus ihrer Lage drängte, werde ihr guttun. Es war eine schweißtreibende Arbeit, die Steine hochzuwuchten und von Gras und Dornenranken zu befreien. Dabei würden sich ihre Ängste verlieren. Aber sie war noch nicht frei, sich der beruhigenden Monotonie hinzugeben, denn heute war sie an der Reihe, die Kranken zu pflegen. Sie legte Schürze und Kopftuch ab, stellte das Geschirr zurecht, das die jungen Novizinnen abwaschen würden
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