Darkover 07 - Die Zeit der Hundert Koenigreiche
und begab sich ins Haus der Kranken.
In den Jahren, die sie auf der Insel des Schweigens weilte, hatte sie viel über die Heilkunst gelernt und zählte jetzt zu den fähigsten Heilerinnen der Priesterinnen zweiten Grades. Eines Tages - das wußte sie, würde sie zu den Besten gehören, denen die Aufgabe anvertraut wurde, andere zu unterrichten. Allein ihre Jugend war der Grund, daß ihr dies Amt noch nicht übertragen worden war. Das war keine Eitelkeit, es war die realistische Einschätzung der Fähigkeiten, die sie sich hier erworben hatte. Zu Hause in Asturias hatte sie keine Ahnung davon gehabt, denn niemand am Hof hatte sich damit abgegeben, diese Kunst zu pflegen und zu lehren.
Zuerst kamen die täglichen Routinearbeiten. Eine Novizin hatte sich die Hand am Breitopf verbrannt. Carlina versorgte die Wunde mit Öl und Gaze und hielt der jungen Schwester eine kleine Vorlesung über die gebotene Vorsicht beim Umgang mit heißen Gegenständen. »Meditation ist schön und gut«, erklärte sie streng, »aber wenn du heiße Gefäße über dem Feuer hast, ist das nicht die richtige Zeit, sich ins Gebet zu versenken. Dein Körper gehört der Göttin; deine Pflicht ist es, für ihn als ihr Eigentum zu sorgen. Hast du das verstanden, Lori?« Sie goß Tee auf für eine der Mütter, die an Kopfschmerzen litt, und eine Novizin, die Krämpfe hatte. Dann besuchte sie eine der sehr alten Priesterinnen, die bewußtlos in einen ruhigen, schmerzlosen Tod hinüberdämmerte. Carlina konnte wenig für sie tun, außer daß sie ihr die Hand streichelte, denn die alte Frau sah und erkannte sie nicht mehr. Einer Priesterin, die in der Milchwirtschaft arbeitete und von einem der Tiere getreten worden war, verabreichte Carlina eine flüssige Salbe.
»Reib deinen Fuß damit ein, Schwester, und denke in Zukunft daran, daß das Tier zu dumm ist, um auf dich Rücksicht zu nehmen. Deshalb mußt du so vernünftig sein, ihm deine Füße nicht in den Weg zu bringen. Und geh einen oder zwei Tage lang nicht in den Stall. Mutter Allida wird wahrscheinlich heute sterben. Setz dich zu ihr, halte ihre Hand und sprich mit ihr, wenn sie unruhig wird. Sie mag hellsichtig werden, wenn das Ende nahe ist. In dem Fall schickst du sofort nach Mutter Ellinen.«
Carlina ging nun zum Fremdenhaus, wo sie zweimal in zehn Tagen der Aufgabe nachkam, eine erste Untersuchung der Kranken durchzuführen, die auf die Hilfe der Priesterinnen Avarras hofften, üblicherweise dann, wenn die Dorfheilerinnen versagt hatten.
Drei Frauen saßen stumm auf einer Bank. Carlina winkte die erste in einen kleinen Innenraum.
»Im Namen der Mutter Avarra, wie kann ich dir helfen, meine Schwester?«
»Im Namen Avarras«, antwortete die Frau - sie war klein und hübsch, aber irgendwie verblaßt -, »ich bin seit sieben Jahren verheiratet und habe noch kein einziges Mal empfangen. Mein Mann liebt mich und würde das als Willen der Götter hinnehmen. Doch seine Mutter und sein Vater - wir leben auf ihrem Land - haben gedroht, sie wollten ihn zwingen, sich von mir zu scheiden und eine fruchtbare Frau zu nehmen. Ich… ich… «, sie brach zusammen und stammelte: »Ich habe mich bereit erklärt, jedes Kind aufzuziehen und zu adoptieren, das er mit einer anderen Frau zeugt, aber seine Familie will ihn mit einer Frau verheiratet sehen, die ihm viele Kinder gebären kann. Und ich… ich liebe ihn«, gestand sie und verstummte.
Carlina fragte ruhig: »Willst du in Wahrheit Kinder gebären? Oder siehst du das als eine Pflicht gegenüber deinem Gatten an, als einen Weg, dir seine Liebe und Aufmerksamkeit zu erhalten?«
»Beides.« Vergebens wischte sich die Frau die Tränen mit dem Rand ihres Schleiers fort. Carlina hatte genug Laran , um die Wahrheit in den Worten der weinenden Frau zu erkennen. »Ich sagte ihm, ich würde alle seine Söhne von irgendeiner Frau seiner Wahl annehmen. Wir haben das Baby seiner Schwester in Pflege, und ich habe festgestellt, daß ich kleine Kinder liebe… Ich sehe die anderen Frauen mit Kindern an der Brust, und ich wünsche mir ein eigenes, oh, wie wünsche ich es mir! Ihr, die ihr Keuschheit gelobt habt, könnt nicht wissen, wie es ist, wenn man andere Frauen mit Kindern sieht und weiß, man wird niemals ein eigenes haben. Ich habe mein Pflegekind, das ich lieben kann, aber ich möchte selbst eins gebären, und ich möchte bei Mikhail bleiben… «
Carlina dachte einen Augenblick nach, dann sagte sie: »Ich werde
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