Darkover 12 - Der verbotene Turm
genoss das herrliche Gefühl, ganz ohne Schmerzen zu sein. Immer noch war sie schwach und ausgelaugt, obwohl sie vermutete, sie habe nach jener fürchterlichen Tortur zwei oder drei ganze Tage hintereinander geschlafen. Danach war sie noch ein paar Tage im Bett geblieben, um neue Kräfte zu sammeln, obwohl sie sich ganz gut fühlte. Sie wusste, an erster Stelle kam jetzt die Wiederherstellung ihrer Gesundheit, die früher immer ausgezeichnet gewesen war, und das würde Zeit kosten.
Und wenn sie gesund war, was dann? Aber sie verbot sich das Grübeln. Wenn sie damit erst einmal anfing, bekam sie keinen Frieden mehr.
Sie war allein im Zimmer. Auch das war ein Luxus. Callista hatte so viele Jahre allein verbracht, dass sie jetzt das Alleinsein ebenso schätzte, wie sie es in den schweren Jahren ihrer Ausbildung gefürchtet hatte. Und solange sie krank war, hatte man sie nie für einen Augenblick allein gelassen. Sie kannte den Grund – für jeden in ihrem Zustand hätte sie, ohne zu zögern, dasselbe angeordnet –, und sie war dankbar für die Fürsorge und unendliche Liebe der anderen. Doch nun war es schön, aufzuwachen und zu wissen, dass sie wieder allein war.
Sie öffnete die Augen und setzte sich im Bett auf. Andrews Bett war leer. Vage erinnerte sie sich, dass sie ihn im Schlaf gehört hatte, wie er umherging, sich anzog und das Zimmer verließ. Da der Sturm vorbei war, gab es überall auf dem Gut bestimmt eine Menge Arbeit. Ebenso im Haus. Ellemir hatte so viel Zeit an ihrem Krankenlager verbracht, dass sie ihre Haushaltspflichten hatte vernachlässigen müssen.
Callista entschloss sich, heute Morgen nach unten zu gehen.
In der vergangenen Nacht war Andrew wieder bei Ellemir gewesen. Sie hatte eine undeutliche Wahrnehmung empfangen und sich mit der alten Disziplin davon abgewandt. Kurz vor Mitternacht war er hereingekommen, ganz leise, um sie nicht zu stören, und sie hatte getan, als schlafe sie.
Ich bin töricht und unfreundlich, schalt sie sich selbst. Ich wollte, dass es geschah, und ich bin ja auch ehrlich froh darüber, und doch konnte ich ihn nicht ansprechen und es ihm sagen. Aber auch diese Gedankenreihe führte nirgendwohin. Es gab nur eins, was sie tun konnte, und dazu musste sie ihre ganze Kraft zusammennehmen: Jeden Tag durchleben, so gut es ging, ihre Gesundheit wiedergewinnen, Damons Versprechen trauen. Andrew liebte und begehrte sie immer noch, überlegte sie mit einer klinischen Objektivität, die ihr nicht als Bitterkeit bewusst war. Sie konnte sich nicht vorstellen, warum er es tat. Nein, wirklich, es hatte keinen Sinn, über das eine nachzugrübeln, das sie noch nicht teilen konnten. Entschlossen stand Callista auf und ging ins Bad.
Callista zog einen blauen Wollrock und eine weiße Strickjacke mit langem Kragen an, den sie wie einen Schal umwickeln konnte. Seit langer Zeit fühlte sie sich zum ersten Mal hungrig. Unten hatten die Mädchen den Frühstückstisch abgeräumt. Der Stuhl ihres Vaters war ans Fenster gerollt worden. Er blickte hinaus in den ganz zugeschneiten Hof, wo ein paar dick vermummte Männer etwas von dem Schnee wegräumten. Callista ging zu ihrem Vater und küsste ihn.
»Geht es dir wieder gut, Tochter?«
»Schon viel besser«, antwortete sie, und er winkte ihr, sich neben ihn zu setzen. Mit zusammengekniffenen Augen forschte er in ihrem Gesicht.
»Du bist dünner geworden. Zandrus Hölle, Mädchen, du siehst wie von Alars Wolf abgenagt aus! Was hat dir gefehlt? Oder sollte ich nicht fragen?«
Callista hatte keine Ahnung, ob Andrew oder Damon ihm irgendetwas gesagt hatten. »Nichts Besonderes. Frauenbeschwerden.«
»Mach mir das nicht weis«, polterte ihr Vater. »Du bist nicht wehleidig. Die Ehe scheint dir nicht zu bekommen, mein Mädchen.«
An seinem Gesicht erkannte sie, dass er ihr innerliches Zurückschrecken wohl bemerkt hatte. Schnell lenkte er ein. »Nun, nun, Kind, ich weiß seit langem, dass die Türme ihre Macht über diejenigen, die ihnen einmal angehörten, nicht leicht aufgeben. Ich erinnere mich gut, dass Damon länger als ein Jahr wie eine verlorene Seele im Vorhof der Hölle umherirrte.« Unbeholfen tätschelte er ihren Arm.
»Ich werde keine Fragen stellen, Chiya. Aber wenn dieser Ehemann von dir nicht gut für dich ist... «
Abwehrend hob sie die Hand. »Nein, nein. Es hat nichts mit Andrew zu tun, Vater.«
Mit skeptischem Stirnrunzeln meinte er: »Wenn eine seit ein paar Monden verheiratete Frau aussieht wie du, ist der Ehemann selten
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