Vampire Academy 05
1
Eine Morddrohung ist kein Liebesbrief – selbst wenn die Person, die sie verfasst, immer noch behauptet, den Adressaten zu lieben. Allerdings hatte ich, die selbst einmal versucht hatte, jemanden zu töten, den ich liebte, vielleicht kein Recht, darüber zu urteilen.
Der heutige Brief kam genau zur richtigen Zeit – nichts anderes hätte ich erwarten sollen. Ich hatte ihn bisher vier Mal gelesen, und obwohl die Zeit knapp war, konnte ich nicht anders: Ich las ihn noch ein fünftes Mal.
Meine liebste Rose,
einer der wenigen Nachteile des Erwecktseins besteht darin, dass wir keinen Schlaf mehr benötigen; daher träumen wir auch nicht mehr. Es ist eine Schande, denn wenn ich träumen könnte, würde ich gewiss von dir träumen. Ich würde davon träumen, wie du riechst und wie sich dein dunkles Haar zwischen meinen Fingern anfühlt: wie Seide. Ich würde von der Glattheit deiner Haut träumen … und von der Wildheit deiner Lippen, wenn wir uns küssen.
Ohne Träume muss ich mich mit meiner eigenen Fantasie begnügen – was beinahe genauso gut ist. Ich kann mir all diese Dinge sehr präzise vorstellen, ebenso wie ich mir ausmalen kann, wie es sein wird, wenn ich dein Leben von dieser Welt nehme. Es ist etwas, das tun zu müssen ich zwar bedaure, aber du hast meine Entscheidung unausweichlich gemacht. Deine Weigerung, dich mir in ewigem Leben und ewiger Liebe anzuschließen, lässt mir keine andere Wahl. Ich kann doch nicht zulassen, dass jemand, der so gefährlich ist wie du, einfach weiterlebt. Und selbst wenn ich deine Erweckung erzwingen würde – du hast dir unter den Strigoi so viele Feinde gemacht, dass dich einer von ihnen gewiss töten würde. Wenn du aber ohnehin sterben musst, dann soll es durch meine Hand geschehen. Durch die Hand keines anderen.
Nichtsdestoweniger wünsche ich dir heute alles Gute für deine Prüfungen – nicht dass du Glück bräuchtest. Wenn sie dich tatsächlich dazu zwingen, sie abzulegen, verschwenden alle nur ihre Zeit. Du bist die Beste in dieser Gruppe, und von heute Abend an wirst du die Markierung deines Versprechens tragen. Das bedeutet natürlich, dass du eine umso größere Herausforderung darstellen wirst, wenn wir uns wiedersehen – was ich ohne jeden Zweifel genießen werde.
Wir werden uns wiedersehen. Wenn du deinen Abschluss hast, wird man dich aus der Akademie fortschicken, und sobald du dich außerhalb der Schutzzauber aufhältst, werde ich dich finden. Es gibt keinen Ort auf dieser Welt, an dem du dich vor mir verstecken kannst. Ich beobachte dich.
In Liebe,
Dimitri
Trotz seiner guten Wünsche fand ich den Brief alles andere als inspirierend. Ich warf ihn aufs Bett, machte mich auf den Weg und versuchte, seine Worte nicht zu sehr an mich herankommen zu lassen, obwohl es ziemlich unmöglich war, sich von etwas Derartigem nicht in Angst versetzen zu lassen. Es gibt keinen Ort auf dieser Welt, an dem du dich vor mir verstecken kannst.
Daran hatte ich keinerlei Zweifel. Ich wusste ja, dass Dimitri Spione hatte. Seit sich mein ehemaliger Lehrer und späterer Geliebter in einen bösen, untoten Vampir verwandelt hatte, war er auch zu einer Art Anführer unter ihnen geworden – das hatte ich sogar noch beschleunigt, als ich seine ehemalige Chefin tötete. Ich vermutete, eine Menge seiner Spione waren Menschen, die nur darauf warteten, dass ich den Schutz meiner Schule verließ. Kein Strigoi konnte vierundzwanzig Stunden am Tag Wache halten. Menschen konnten es jedoch, und erst vor kurzem hatte ich erfahren, dass jede Menge Menschen bereit waren, den Strigoi zu dienen: als Gegenleistung für das Versprechen, eines Tages verwandelt zu werden. Diese Menschen waren der Meinung, das ewige Leben sei es wert, ihre Seelen zu korrumpieren und andere zu töten, um selbst zu überleben. Diese Menschen machten mich ganz krank.
Aber die Menschen waren nicht der Grund, warum meine Schritte ins Stocken gerieten, während ich durch das Gras ging, das unter dem Einfluss des Sommers hellgrün geworden war. Es war Dimitri. Immer Dimitri. Dimitri, der Mann, den ich liebte. Dimitri, der Strigoi, den ich retten wollte. Dimitri, das Ungeheuer, das ich höchstwahrscheinlich würde töten müssen. Die Liebe, die wir miteinander geteilt hatten, brannte immerzu in mir, ganz gleich, wie oft ich mich antrieb weiterzuziehen, ganz gleich, wie fest die Welt davon überzeugt schien, dass ich tatsächlich bereits weitergezogen war. Er war immer bei mir, immer in meinen Gedanken, und
Weitere Kostenlose Bücher