Darkover 23 - Asharas Rückkehr
Wiegenlied, das sie auf Zeepangu gelernt hatte. Dort gab es ein Instrument, das diesem hier nicht unähnlich war. Ihre Hände bewegten sich wie unter Zwang, fast als würde das Instrument sie spielen, und es wurde nicht das schlichte Lied, das sie sich vorgenommen hatte. Sie hatte eine verschwommene Vision des silberhaarigen und silberäugigen Mannes ihrer altbekannten Alpträume; er saß auf einem großen, mit Schnitzereien verzierten Stuhl, und ihre Gefühle in Bezug auf den Mann waren wie immer eine Mischung aus Angst und Erregung. Einen kurzen Augenblick sah sie auch den Alten, seine Haare waren nicht grauschwarz gesprenkelt wie jetzt, sondern noch ganz dunkel. Seine beiden Hände ragten aus bestickten Ärmeln. Er tauchte nur kurz auf, dann war er wieder verschwunden.
Ihre Kehle schnürte sich zu, und ihre Augen brannten vor Tränen. Dann formten sich Worte von allein auf ihren Lippen. Sie schluckte und wollte die Worte wegschieben, denn sie waren schwer fassbar und anders als alles, was sie je gesungen hatte. Dann war der Widerstand mit einem Mal vorbei; sie ließ die Worte herausströmen, einfach, weil sie sie nicht aufhalten konnte. Der Kloß in ihrer Kehle verschwand, und sie überließ sich wie besessen der Melodie.
Wie kommt dieses Blut an deine Hand?
Sag es mir, Bruder, sag.
Es ist das Blut eines grauen Wolfs
Der lauerte im Wald.
Kein Wolf streift umher zu dieser Stunde
Sag es mir, Bruder, sag.
Es ist das Blut meines Zwillings
Der mit mir beim Weine saß.
Die Verse sprudelten ohne ihr Zutun aus ihr heraus, einer nach dem anderen. Margaret war wie in Trance, in der Hand von etwas, das sie nicht kannte.
Eine unbestimmte Zeit später fand sich Margaret über die Ryll gebeugt wieder; sie hatte die überwältigende Empfindung von Orientierungslosigkeit und böser Ahnung, und das Bild des silbernen Mannes flackerte hinter ihren Augen. Ich kenne ihn. Ich bin in meinen Träumen mit ihm gegangen, er hat mich in seinen Armen getragen, mich geküsst und mein Gesicht gestreichelt. Ich war damals noch so klein, dass man mich tragen konnte. Wer ist er? Und wieso weiß ich genau, dass er alt ist, viel älter als Vater? Er hat mir einmal ein Schlaflied gesungen. Dio hat mich einmal dabei erwischt, wie ich es meiner Puppe vorgesummt habe, und mich geschlagen - und das hat sie sonst nie getan. Nicht einmal, als ich die Grünbeerentorte aufgegessen habe, die für unsere Gäste bestimmt war.
Margarets Muskeln verkrampften sich durch eine Erschöpfung, die nichts mit dem Instrument zu tun hatte, das nun ruhig vor ihr lag. Sie hatte den Eindruck, dass sie kurz vor einer Entdeckung stand allerdings hatte sie keine Ahnung, was sie entdecken würde. Ihr Herz klopfte heftig, und sie wartete darauf, dass es zu einem normalen Rhythmus zurückkehrte. Am liebsten hätte sie die Ryll auf den Boden geworfen, wäre in ihr
Zimmer hinaufgerannt und hätte dort geschrien, bis ihre Kehle wund war. Es kostete sie jeden Funken ihrer hart erworbenen Selbstbeherrschung, einfach nur zu bleiben, wo sie war, und für die beiden Männer wie eine ganz normale Frau auszusehen. Sie konnten nichts ahnen von den Visionen, die sie heimsuchten, nichts von der Phalanx von Geistern, die die Musik in ihr wachgerufen hatte. Ihr Mund war trocken. Sie atmete sehr flach, denn sie wusste, sie würde in Ohnmacht fallen, wenn sie tief Luft holte. Fragen wirbelten ihr im Kopf herum, schmerzliche Fragen, die jedes Mal auftauchten, wenn sie erschöpft war. Wieso hat mich mein Vater immer angesehen, als wäre der Anblick schmerzhaft? Je älter ich wurde, desto schlimmer wurde es. Ich war so froh wegzukommen, und ich schäme mich immer noch, weil ich froh war.
Für einen kurzen Augenblick hatte sie den Eindruck, dass sich der Alte vor ihren Augen materialisierte, leicht durchsichtig zwar, aber deutlich erkennbar. Er starrte seinen Armstumpf an, wie er es immer tat, als verwirrte ihn das Fehlen seiner Hand, und er trank. Sie wusste, es war nur eine Erinnerung, auch wenn das Trugbild nun die Augen von dem Arm nahm und sie direkt ansah, scheinbar durch sie hindurchblickte. So konnte er stundenlang verharren, während sie immer nervöser wurde und sich fragte, was sie ihm getan hatte.
In ihrem Herzen wusste Margaret, dass sie nichts getan hatte. Nichts von dem, was schief gegangen war, was ihn einen Arm gekostet hatte und noch etwas, für das sie keine Worte fand, war ihre Schuld. Sie war noch zu klein gewesen, um an etwas schuld zu sein, außer vielleicht, dass
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