Darkover 24 - Die Schattenmatrix
ausschließlich glücklich darüber war, kam sie doch zu dem Schluss, dass es selbst in der größten Verzweiflung besser war, am Leben zu sein als tot.
Rafaella steckte den Kopf zum Zelteingang herein. »Zieh endlich diese nassen Strümpfe aus. Du wirst dir noch den Tod holen!« Die Entsagende drängte ins Zelt und zog ihre eigenen Strümpfe aus, dann griff sie nach einem trockenen Paar, das sie zuvor als Kopfkissen benutzt hatte.
Trockene Socken. Der Gedanke kam Margaret lächerlich vor. Wie konnte sie nur an ihre Strümpfe denken, wenn sie sich gerade erst am Tod von zahlreichen Männern schuldig gemacht hatte, selbst wenn es Straßenräuber waren? Was machte es schon, wenn sie eine Lungenentzündung bekam und daran starb? Es wäre für alle das Beste - außer für ihren Vater und Mikhail vielleicht. Der Alte wäre am Boden zerstört, und er würde sich die Sache niemals verzeihen, da sie ohne seinen Einfluss gar nicht auf dem Weg nach Neskaya wäre.
Margaret griff schwerfällig nach ihrem Kissen und zog trockene Socken und einen neuen Seidenhandschuh heraus. Im düsteren Licht des Zeltes sah er eher grün aus, und der an ihrer rechten Hand war blau. Sie sollte wirklich einen passenden suchen, aber sie hatte nicht die Kraft dazu. Stattdessen zerrte sie die durchnässten Strümpfe von ihren Füßen, zog frische an und bewegte die Zehen in der warmen Wolle. Dann streifte sie den Handschuh über die linke Hand.
Ihr Gesäß war kalt, weil sie in den Schnee gefallen war, und ihr war klar, dass sie sich umziehen musste. Aber sie konnte sich vor Müdigkeit kaum bewegen und beobachtete nur Rafaella, die ihre Stiefel anzog und aufstand. »Ich helfe mit, die Leichen wegzuschaffen«, verkündete ihre Freundin und ging.
Die Leichen wegschaffen. Der Satz hüpfte in Margarets Schädel herum, ein kalter Stein aus Schmerz und Entsetzen. Zwei dieser Leichen waren Männer, die sie eigenhändig getötet hatte. Einen hatte sie sogar bei lebendigem Leib verbrannt! Und diese Tatsache ließ sich nicht mehr ändern. Sie würde damit leben müssen. Allerdings würde sie nie jemandem erzählen, was sie getan hatte. Es war leicht gegangen, zu schnell und beunruhigend einfach. Und wenn es ihr nicht gelungen wäre, die Entsagenden zu wecken, hätte sie diese ebenfalls auf dem Gewissen.
Mit verkniffenem Gesicht zog Margaret ihren feuchten Rock aus und einen anderen an, dann setzte sie sich hin und lauschte dem Treiben außerhalb des Zeltes. Sie hörte das schleifende Geräusch, als die Leichen über die dünne Schneekruste gezogen wurden. Die Stimmen der Frauen und des Händlers. Dann vernahm sie ein Zischen, und plötzlich wurde es sehr hell im Zelt. Sie verbrannten die Leichen. Der Geruch von versengtem Fleisch und Gewebe trieb mit dem Wind heran, faulig und abscheulich.
Margaret kroch zitternd unter die Decken. Sie war hungrig, sehr sogar, aber sie wusste, sie würde alles wieder ausspucken, was sie jetzt aß. Sie winkelte einen Arm an, bettete ihren Kopf darauf und starrte in den Feuerschein, der vom Scheiterhaufen durch die Zeltleinwand drang. Und wenn ich sonst nichts lerne, dann werde ich wenigstens einen Weg finden, die Befehlsstimme zu beherrschen! Zum Teufel mit dieser Scheußlichkeit in meiner Hand und der Alton-Gabe. Aber ich werde die Befehlsstimme nie mehr benutzen, ohne zu wissen, was ich tue! Nie wieder, ich schwöre es! Entkräftet von Entsetzen, Hunger und Kälte warf sich Margaret noch eine Weile auf ihrem Lager hin und her, dann sank sie in einen unruhigen Schlaf.
Zwei Tage später erreichten sie nachmittags die Stadt Neskaya. Die Sonne von Darkover ging gerade unter und färbte die schweren Wolken blutig rosa. In der Stadt war es bereits ruhig. Sie kamen an Häusern vorbei, in denen vereinzelt Kerzen hinter den wenigen Fenstern flackerten, und sahen Leute, die eilig noch verschiedene Besorgungen machten.
Margaret schaute zum Turm von Neskaya hinauf, dessen weiße Steine die untergehende Sonne in ein rosiges Licht tauchte. Selbst aus dieser Entfernung spürte sie die Anwesenheit der Matrixrelais hinter den Steinen. Sie hätte nie gedacht, dass sie sich einmal freuen würde, einen Turm zu sehen, aber seit der Begegnung mit den Banditen waren alle, bis auf Rafaella, ihr gegenüber ziemlich gereizt und argwöhnisch gewesen. Margaret hatte sich standhaft geweigert, eine Erklärung abzugeben, und sich in ein hartnäckiges Schweigen zurückgezogen, was die Lage nicht gerade verbesserte. Sie wollte nicht zugeben, dass sie über
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