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Der Tag, an dem du stirbst

Der Tag, an dem du stirbst

Titel: Der Tag, an dem du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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    Prolog
    Das kleine Mädchen wachte auf, wie es ihm beigebracht worden war: schnell und leise. Es schnappte stumm nach Luft, weil es noch Nacht war, und richtete die Augen auf das angespannte Gesicht seiner Mutter.
    «Pssst», flüsterte die Mutter und legte einen Finger an die Lippen. «Sie kommen. Es ist Zeit, mein Kind. Steh auf.»
    Die Kleine warf die Decke zur Seite und richtete sich auf. Die Winternacht war kalt. Im Mondschein sah sie ihren Atem Wölkchen bilden. Die Kleine war bereit. Sie und ihre Schwester schliefen immer vollständig angezogen mit mehreren Lagen T-Shirts, Pullovern und Mänteln, zu welcher Jahreszeit auch immer. Man konnte schließlich nicht wissen, wann sie kamen, um ihre Beute aus der warmen Geborgenheit ins Ungewisse zu entführen. Unvorbereitete Kinder würden vor Kälte und Angst vergehen.
    Nicht so das kleine Mädchen und die Schwester. Sie hatten vorgesorgt. Seit sie gehen konnten, waren sie von ihrer Mutter darauf gedrillt worden zu überleben.
    Das kleine Mädchen griff nach seinem Rucksack, der am Fußende des Bettes lag, schlang ihn sich über die Schultern und glitt mit den kleinen Füßen in die locker gebundenen Turnschuhe. Dann folgte es seiner Mutter auf den düsteren Flur. Vor dem Treppenabsatz blieb die Mutter stehen. Sie legte wieder den Finger auf die Lippen und spähte nach unten ins Dunkel.
    Das kleine Mädchen war einen Schritt hinter der Mutter stehen geblieben und schaute zurück in den hinteren Teil des Flurs, wo die Schwester für gewöhnlich schlief. In der winzigen Mietwohnung hatte sie kein eigenes Bett, geschweige denn ein Zimmer für sich. Darum schlief sie auf dem Boden mit ihrem Mantel als Matratze und einem Rucksack als Kissen. Das gehöre sich so für einen guten Soldaten, sagte die Mutter.
    Aber die Stelle vor der hinteren Wand war leer – keine Schwester, kein Mantel, kein ramponierter roter Rucksack. Das kleine Mädchen war jetzt hellwach. Es spürte einen ersten Anflug von Furcht und musste sich zusammenreißen, um nicht laut nach seiner Schwester zu rufen.
    Die Mutter hatte sie darauf eingeschworen: Sie sollten sich umeinander keine Sorgen machen, sie sollten nicht aufeinander warten, sondern das Haus verlassen und in den Wald gehen. Auf dem schnellsten Weg. Und wenn sie in Sicherheit wären, würden sie am vereinbarten Treffpunkt wieder zusammenfinden. Vor allem aber käme es darauf an, das Haus zu verlassen und der Gefangennahme zu entgehen.
    Aber wenn es nicht …
    Die Mutter hatte es immer wieder gesagt, mit verkniffenem Gesicht, das älter wirkte, als sie in Wirklichkeit war: Seid brav. Irgendwann muss jeder sterben.
    Die Mutter des kleinen Mädchens schlich am äußersten Rand die Treppe hinunter, wo die Stufen nicht so laut knarrten. Der Saum des übergroßen Wollmantels strich ihr wie eine schwarze Katze um die Fußgelenke.
    Das kleine Mädchen folgte der Mutter dichtauf, setzte seine Füße ebenso sorgfältig und lauschte ins Dunkel des tiefen Flurs. Das kleine, zweigeschossige Haus gehörte zu einem ehemaligen Bauernhof. Es lag weit außerhalb der Stadt an einer staubigen Schotterpiste auf einem braunen Fleckchen Land, an das sich ein dichter Wald anschloss. Mit den Nachbarn hatten sie keinen Kontakt, geschweige denn mit der Gemeinde.
    Alles, was die Kleine besaß, trug sie nun auf dem Rücken. Ein paar Kleider, eine Flasche Wasser, Trockenfrüchte, Mandeln und ein abgegriffenes Kinderbuch mit einer Mädchen-Detektivgeschichte, das sie vor zwei Jahren in einer anderen Stadt am Straßenrand gefunden hatte, nachdem sie und ihre Schwester schon einmal mitten in der Nacht geweckt worden waren, um Hals über Kopf zu verschwinden.
    Andere Kinder hatten wahrscheinlich Spielzeug. Puppen, Fernseher, Computer. Freunde. Schulkameraden.
    Das kleine Mädchen hatte nur seinen Rucksack, die ältere Schwester und seine Mutter.
    Unten im Parterre angekommen, hob die Mutter ihre Hand. Das kleine Mädchen blieb stehen. Es war still. Um die Stiefel der Mutter wirbelten silbrige Staubflöckchen.
    Jetzt konnte die Kleine etwas hören, ein Rasseln, gefolgt von zwei Schlägen. Der alte Heizbrenner hatte die Kälte endlich registriert und war zum Leben erwacht. Wenig später kehrte die mitternächtliche Stille zurück. Das Mädchen spähte in die Dunkelheit. Es lauschte angestrengt. Dann, weil es keinen Hinweis auf Gefahr erkennen konnte, blickte es fragend zum bleichen Gesicht der Mutter auf.
    Manchmal, so wusste die Kleine, flohen sie

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