Darkyn: Versuchung des Zwielichts (German Edition)
herumträgst, und noch einen guten Katholiken aus dir machen, Johnny-Boy.«
Seamus, der erst letztes Jahr friedlich im Schlaf gestorben war, hatte niemals erfahren, was Johnny-Boy damals mit sich herumgetragen hatte.
Was er immer noch mit sich herumtrug.
Ihr habt Euer Versprechen nicht gehalten, Vater.
St. Luke war nach dem Vorbild der alten Kirchen gebaut worden, die die ersten gläubigen irischen Einwanderer nach Chicago in ihrer Heimat zurückgelassen hatten, aber das Innere gestalteten die später ankommenden Italiener. Johns Adoptivmutter war davon überzeugt gewesen, dass das der Grund war, warum der Vatikan den Wiederaufbau der Kirche nach dem großen Feuer in Chicago 1871 bezahlt hatte.
»Die Iren haben das zugelassen«, sagte Audra mit amüsierter Resignation, »weil sie da schon die gesamte Stadt mit ihren Fleischfabriken beherrschten.«
Audra und Robert pendelten von ihrem wunderschönen Haus an der South Shore in die Stadt, um in die Kirche ihrer Kindheit zu gehen, aber Alexandra hatte St. Luke nie gefallen. Sie hatte zu John gesagt, dass es ein schrecklicher Ort sei.
»Und es stinkt dort«, hatte sich seine kleine Schwester beschwert. »Als wäre dort jemand gestorben und niemand hat die Leiche gefunden.«
Audra Keller schob den Geruch auf den verkohlten Stein, den man immer noch in der Nähe des Kirchenfundaments sehen konnte, und auf die öligen Gebetskerzen, die immer noch von den Klarissen eines hiesigen Klosters aus ausgeschmolzenem Rinds- und Schweinefett gegossen wurden.
»Warum können die Nonnen nicht Bienenwachs nehmen?«, hatte Johns Adoptivmutter Vater Seamus einmal gefragt. Obwohl sie John oder Alexandra niemals erlaubt hätte, ein Haustier zu halten, setzte sich Audra stets für den Tierschutz ein. »Von dem Gestank dieser Dinger wird allen schlecht.«
»Bienenwachs ist zu teuer«, hatte sie der alte Priester erinnert. »Und der Verkauf der Talgkerzen versorgt das Kloster mit einem bescheidenen Einkommen.«
Trotzdem waren die Kellers mit ihren Adoptivkindern jeden Samstag zur Beichte und jeden Sonntag zur Kommunion gegangen, weil ihre Eltern es so mit ihnen gemacht hatten, genau wie deren Eltern zuvor. Nach seinen Erfahrungen in Übersee hatte John um eine Stelle in St. Luke gebeten und sie bekommen. Damals hatte er das für einen Segen gehalten.
Jetzt fragte er sich, ob Gott gerne Scherze machte.
Die Gemeinde war niemals reich gewesen, aber seit Johns Reise in die Mission nach Südamerika war sie langsam zu einem Slum verkommen. Diejenigen, die es sich leisten konnten, hatten die Gegend bereits verlassen. Der Drogenmissbrauch, immer populär in Zeiten wirtschaftlicher Not, nahm stetig zu, genauso wie Einbrüche, Prostitution und Gewalt von Gangs.
John war nicht klar gewesen, dass die Heimat seiner Kindheit zu einem Ghetto geworden war, bis er die Leitung der Nachbarschaftsmission von St. Luke übernommen hatte, die warme Mahlzeiten an die Bedürftigen ausgab. Das Essen war immer schneller zu Ende als die Schlange der Nutten, Penner und Crack-Abhängigen.
Teller mit wässrigem Chili zu verteilen und gegen das Schlürfen aus dem Matthäus-Evangelium zu lesen war nicht nur sinnlos; es war ein Hohn. John war Priester geworden, um das Böse durch die Festigung des Glaubens zu bekämpfen, nicht um eine Suppenküche für Leute zu leiten, die gerne ihre Seel e – oder sein e – für einen Schuss oder einen Dollar verkauft hätten.
John hätte sich um seine Gemeinde gekümmert, aber die Menschen schienen ihn nicht zu brauchen. Den Gläubigen, die nach St. Luke kamen, konnte man nachsehen, dass sie inzwischen überzeugt waren, Gott sei taub, was sie anging; so wenige ihrer Gebete wurden erhört. Trotzdem kamen sie treu zur Messe und knieten und beteten den Rosenkranz und riefen Gott an, ihr Leid zu lindern, ob John die Messe hielt oder nicht. Ihre roboterhafte Demut des Glaubens schien grimmig und hoffnungslos, aber sie änderte sich nie und weigerte sich zu sterben. Wie die Gemeinde selbst.
John beobachtete die ernste Miene des italienischen Priesters, während dieser die Augen schloss und betete. Vater Carlo Cabreri war Erzbischof August Hightowers Chefassistent und einer der meistbeschäftigten Priester des Bezirks. Dennoch war Carlo im Refektorium erschienen und hatte darauf bestanden, die Morgenmesse zu halten.
Hightower musste Johns Brief erhalten haben.
Glaubt er, Carlo könnte es mir ausreden? John wusste, dass Hightower ihn auf seine distanzierte Art mochte. Er war
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