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Darkyn: Versuchung des Zwielichts (German Edition)

Darkyn: Versuchung des Zwielichts (German Edition)

Titel: Darkyn: Versuchung des Zwielichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Viehl
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Johns erster Beichtvater gewesen und hatte davor seiner Adoptivmutter Audra Keller geholfen, John davon zu überzeugen, Priester zu werden. Vielleicht hat er Cabreri geschickt, um mich daran zu erinnern.
    Aber der Bischof würde kein Glück haben, denn es gab nichts zu reden. John war entschlossen.
    Sein Blick glitt vom Altargitter zu den Heiligenstatuen, die in den niedrigen Bogen darüber eingeschnitzt waren. Ein dünner Staubfaden hing vom Kinn des heiligen Paulus herab und wehte sanft hin und her, bewegt von dem Luftzug aus einem der zerbrochenen Fenster im Mittelschiff.
    » Domine, non sum dignu s … «, murmelte der Priester und begann das Gebet, das er dreimal wiederholen würde, bevor er selbst die Hostie aß.
    John blendete die übrigen lateinischen Worte aus, während die englische Version der ersten Zeile in seinem Kopf hämmerte. Herr, ich bin unwürdi g … ich bin unwürdi g …
    John war immer unwürdig gewesen. Seine Eltern, das Leben auf der Straße und die Bestie in ihm hatten dafür gesorgt. Als er beschloss, den Minderen Brüdern beizutreten und Priester zu werden, hatte er gehofft, es würde den Mann ändern, der er war. Und er hatte sich geändert.
    Jetzt war er unwürdig und ein totaler Versager als Priester.
    Während Cabreri sich darauf vorbereitete, den Gläubigen die Kommunion zu spenden, kniete John am Altargitter. Vom symbolischen Fleisch und Blut Christi zu nehmen war eines der heiligsten Rituale des Glaubens, doch jetzt fühlte es sich wie Kannibalismus an. John war nicht würdig, an diese Tafel zu kommen und das Abendmahl zu teilen; er war ein Unreiner.
    »Vater?«, flüsterte einer der Messdiener.
    John blickte auf und sah, dass der Junge den Teller mit den Hostien unter seinem Kinn balancierte und dass der italienische Priester ihm die ausgestanzte, münzgroße Hostie vor die Nase hielt.
    »Corpus Christi«, wiederholte Vater Cabreri geduldig.
    John öffnete die Lippen und akzeptierte die Hostie. Die dünne Waffel klebte augenblicklich an seinem Gaumen fest, wo sie bleiben musste, bis seine Spucke sie in eine schluckbare Masse verwandelt hatte. Selbst als er noch ein Junge war, hatte John die Hostie niemals gekaut.
    Man kaute nicht auf dem Körper Jesu Christi.
    Hei, Padre.
    Seit John aus Südamerika zurück war, plagten ihn seine Sinne. Er hörte Stimmen, die nicht da waren, roch Gerüche, die seiner Nase entgangen sein mussten, und schmeckte sogar Sachen im Essen, die er zuvor nie wahrgenommen hatte. Er sagte es seinem Arzt, der einige Tests durchführte, worauf bald eine Krankheit oder ein Gehirntumor ausgeschlossen werden konnte.
    »Du bist kerngesund, John. Gesünder als deine Mitbrüder drüben in St. Luke.« Dr. Chase lachte über seinen eigenen Witz. »Ich denke mal, du leidest an einer sensorischen Wahrnehmungsstörung.«
    »Wie bitte?« John hatte diese Bezeichnung noch nie gehört.
    »Du bist gerade erst zurück nach, was, zwei Jahren im Dschungel? Natürlich hat dein Gehirn andere Nervenverbindungen gebildet, die jetzt Dinge wahrnehmen, die nicht ins Raster passen. Viele Männer, die aus Vietnam zurückkamen, litten an sensorischen Wahrnehmungsstörungen.«
    Der Arzt hatte ihm versichert, dass sich dieser Zustand irgendwann ändern würde. Das war nicht passiert, und manchmal war John sicher, dass es schlimmer wurde. Wie jetzt. Der Geruch des Chantilly-Parfüms von der alten Frau zu seiner Linken war so stark, dass er sich über den Rand des Altargitters beugen und sich übergeben wollte.
    Als er abrupt aufstand, erschreckte er die Leute, die neben ihm beteten. John ignorierte sie, beugte kurz die Knie vor dem lebensgroßen Kruzifix und lief dann durch den Mittelgang aus der Kirche hinaus. Erst als er draußen stand, konnte er wieder atmen und sich konzentrieren und versuchen, die ekelerregenden Gerüche aus seinem Kopf zu vertreiben. Sie zogen sich zurück, aber ein dunkles Gesicht ersetzte sie. Wieder hörte er die verschlagene Stimme mit dem wissenden Unterton, die ihn eines Nachts aus einem dunklen Eingang in den Slums gerufen hatte.
    Hei, Padre.
    »Vater? Ist Ihnen schlecht oder so?«
    Christopher Calloways nach Kaugummi riechender Atem riss John aus seinen Erinnerungen. Das Mädchen in Rio hatte Pfefferminzkaugummi gekaut, aber nicht aus Vergnügen. Sie tat es, um den Gestank ihrer schwarzen, verrottenden Zähne zu überdecken. Das war der Grund für den Spitznamen ihres Gewerbes, menina do doce .
    Süßes Mädchen.
    Er stand vor der Statue der Mutter Gottes.

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